Better Life: Wie süchtig machen Eis und Co.?
Chips, Schokolade, Kekse, Eis: Sind diese Snacks einfach nur unwiderstehlich, wie die Werbung oft verspricht? Oder machen sie vielleicht sogar süchtig?
Machen Snacks süchtig? Das ist eine Frage, der ein Forschendenteam nachgegangen ist. Es hat eine Vielzahl von Studien über hochverarbeitete Lebensmittel gewälzt und ist zu einem recht eindeutigen Ergebnis gekommen. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jetzt im BMJ, ehemals British Medical Journal.
Was ist passiert?
Forschende aus den USA, Spanien und Brasilien haben in einer umfangreichen Metastudie insgesamt 281 Untersuchungen über den Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln aus 36 Ländern ausgewertet. Ihr Ergebnis: 14 Prozent der Erwachsenen und 12 Prozent der Kinder sind davon abhängig.
Eine Sucht, die nicht auf "herkömmliche" Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Kokain oder Heroin zurückzuführen ist, sondern auf hochverarbeitete Lebensmittel. Nur: Der Konsum ist nicht altersbeschränkt oder kriminalisiert. Im Gegenteil: Hochverarbeitete Lebensmittel sind allgegenwärtig. Das Problem: Sie werden hochindustriell hergestellt, enthalten oft künstliche Inhaltsstoffe, die in gewöhnlichen Haushalten nicht verfügbar sind und ihre Zusammensetzung ist ganz anders als die von natürlichen Lebensmitteln, wie Obst und Gemüse. Und: Schon lange werden sie mit allerlei Krankheiten – neben einer Abhängigkeit – in Verbindung gebracht, wie neuronale Störungen, Impulsivität, emotionale Instabilität, schlechtere körperliche und geistige Gesundheit und letzten Endes eine geringere Lebensqualität.
Das sind die Reaktionen
Hauptautorin der Studie ist Ashley Gearhardt von der University of Michigan. Sie entwickelte bereits vor Jahren die "Yale Food Addiction Scale" – eine Skala, um Lebensmittelabhängigkeit zu messen. Dafür legte sie elf Kriterien fest, die genauso für andere Abhängigkeiten gelten. Etwa: unkontrollierter Konsum, starkes Verlangen, Ignorieren von negativen Konsequenzen für die eigene Gesundheit. Zeigt eine Person zwei oder mehr dieser und weiterer Symptome und führen sie zu einer "signifikanten Beeinträchtigung" des Alltags, gilt dies als Lebensmittelabhängigkeit.
Im Guardian erklärt Gearhardt, wie diese entsteht: "Essen wir hochverarbeitete Lebensmittel, wird in unserem Gehirn Dopamin ausgeschüttet. Das erzeugt ein Hochgefühl. Wenig später sinkt die Konzentration rasch und das erzeugt das gegenteilige Gefühl. Wir wollen, dass das Hochgefühl zurückkommt. Also essen wir mehr hochverarbeitete Lebensmittel." Die Dopaminkurven, die dabei entstehen, ähneln den Reaktionen im Gehirn auf Alkohol und Nikotin. Und genauso ähneln sich auch die Abhängigkeiten insgesamt in der Bevölkerung. Gearhardt sagt: "14 Prozent der Erwachsenen sind abhängig von Alkohol, 18 Prozent von Nikotin."
Das sind die Hintergründe
Der Guardian hat zu dem Thema auch Chris van Tulleken befragt, er hat das Buch "Gefährlich lecker" geschrieben. Es erzählt, wie "uns die Lebensmittelindustrie manipuliert, damit wir all die ungesunden Dinge essen – und nicht mehr damit aufhören können". Von Tulleken sagt: "Natürliche Lebensmittel sind keine Suchtmittel. Aber hochverarbeitete Produkte sind auch keine Lebensmittel in dem Sinn, dass sie einen Menschen ernähren sollen. Vielmehr dienen hochverarbeitete Produkte, wie es der Name sagt, der Profitsteigerung von Unternehmen."
Warum allerdings das Gehirn so auf hochverarbeitete Produkte abfährt, ist nicht geklärt. Es liegt vermutlich nicht an einem einzigen Molekül, wie beispielsweise beim Rauchen und dem Nikotin. Eine Möglichkeit ist, dass es an der Wechselwirkung von Kohlenhydraten und Fetten liegt. Unverarbeitete Lebensmittel enthalten normalerweise entweder Kohlenhydrate oder Fette, während hochverarbeitete Produkte meist hohe Mengen beider Nährstoffe enthalten. Die Kombination könnte einen Suchteffekt auf das Belohnungssystem im Gehirn zu haben. Auch könnten die Zusatzstoffe in hochverarbeiteten Produkten zur Sucht beitragen. Diese dienen meist dazu, den Geschmack und die Textur zu verbessern – was beides den Verzehr steigern kann.
Was kann man tun?
Es geht laut Gearhardt nicht darum, hochverarbeitete Produkte ganz zu streichen, aber sie sollten nur einen kleinen Teil der Nahrung ausmachen. Und vor allem sollten Süchtige nicht alleingelassen oder als Individuum für ihr Verhalten in die Verantwortung genommen werden – sondern die Lebensmittelindustrie und die Politik. Beispielsweise könnte eine erhöhte Steuer auf zuckerhaltigen Getränken, wie sie sie in vielen Ländern schon gibt, oder durch Warnungen auf ungesunden Produkten den Konsum senken.
Wie schwierig es ist, so eine Initiative durchzusetzen, erlebte im Frühjahr Bundesernährungsminister Cem Özdemir. Er stellte ein Verbot für an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit zu viel Zucker, Salz oder Fett vor, erhielt dafür aber kräftigen Gegenwind. Warum er das wollte? Nicht nur wegen der Suchtgefahr. Sondern auch, weil die gesamtgesellschaftlichen Kosten von Übergewicht in Deutschland laut Berechnungen der Universität Hamburg 63 Milliarden Euro betragen.
Betroffen sind oft schon Kinder: 15 Prozent der 3- bis 17-Jährigen sind übergewichtig. Das kann auch Gearhardt bestätigen. Ihr begegneten während der Recherche für ihre Studie Neunjährige mit einer Fettleber, die auf ihre Ernährungsweise zurückzuführen war.
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