Experten( )Wissen: Speichel als Warnsignal für die Gesundheit – worauf man achten sollte
Dr. Hady Haririan im exklusiven Interview
Erst, wenn einem die Spucke mal wegbleibt, macht man sich Gedanken um sie: Speichel führt ein stiefmütterliches Dasein im täglichen Bewusstsein der Menschen. Dabei spielt er eine große Rolle für die Gesundheit – und eine zunehmende in der Krankheitsdiagnostik. Was der Speichel in der Medizin und im Alltag über den Gesundheitszustand verrät und wann er ein echtes Warnsignal darstellt, verrät Dr. med. dent. Hady Haririan von der Universitätszahnklinik Wien.
Speichel ist im ständigen Fluss: Einen halben bis anderthalb Liter produzieren die menschlichen Speicheldrüsen täglich. Zu mehr als 99 Prozent besteht er aus Wasser, doch der winzige Rest hat es in sich: Diverse Mineralstoffe, Enzyme und Proteine geben dem Speichel seine wichtigen Eigenschaften – und davon hat er mehr, als vielen bewusst ist.
So wichtig ist Speichel für die Gesundheit
„Speichel hat sehr viele Funktionen und ist unerlässlich für eine gute (Mund-)Gesundheit“, betont der Parodontologie-Experte Dr. Hady Haririan von der Universitätszahnklinik Wien im Interview mit Yahoo Life. „Er befeuchtet nicht nur die Mundhöhle, sondern enthält auch zahlreiche Enzyme und Proteine, die sowohl bei der Immunabwehr als auch bei der Verdauung, aber auch Wundheilung eine Rolle spielen.“
Erst, wenn man zu wenig oder gar keinen Speichel habe, was beispielsweise nach Tumoroperationen oder Strahlentherapie vorkommen kann, würde erst deutlich, wie unerlässlich er ist. „Ohne Speichel können Speisen nicht hinuntergeschluckt werden und schmerzfrei die Speiseröhre passieren, die Mundschleimhaut würde ständig wund sein und Totalprothesen nicht halten. Zudem spült der Speichel ständig Bakterien von den Zähnen, die sonst leichteres Spiel für Karies hätten.“
Speichel spielt also nicht nur eine Schlüsselrolle für die Gesundheit von Zähnen und Zahnfleisch, sondern ist auch Grundvoraussetzung für wichtige körperliche Funktionen – angefangen beim Sprechen. Auch Verdauung oder auch nur Nahrungsaufnahme wären ohne Speichel kaum möglich.
Speichel als Krankheitsindikator für Diabetes oder Krebs? Die Medizin ist dran
Zu Unrecht wird ihm also wenig Beachtung geschenkt: Vor allem durch seine Rolle in der Immunabwehr des Körpers bietet er sich als wichtiges Instrument für die Krankheitsdiagnostik in der Medizin an, wie Dr. Haririan findet. „Speichel hat ein enormes Potenzial, was die Früherkennung von Erkrankungen betrifft. Aufgrund der leichten Abnahme, für die es kein geschultes Personal wie bei der Blutabnahme braucht, ist es überall möglich, ihn zu sammeln. Am ehesten bietet sich hier die Zahnarztpraxis an, wo eine solche Speichelprobe dann auch gleich weiter analysiert werden könnte.“
Viele im Speichel zu findende Indikatoren seien bereits erforscht: „Zurzeit gibt es einige vielversprechende Speichelbiomarker, einerseits für Erkrankungen in der Mundhöhle, wie beispielsweise Parodontitis, aber auch systemische Erkrankungen wie Diabetes. Für Tumorfrüherkennung wurden auch bereits einige Marker identifiziert, zum Beispiel für Brustkrebs, noch bevor ein Tumor überhaupt tastbar war.“ Bis zu einem routinemäßigen Einsatz einer solchen Diagnostik anhand von Speichelproben würde es aber noch weiterer Forschung bedürfen: „Noch fehlt es aber bei solchen Tests an ausreichender Sensitivität und Spezifität.“
Ein Beispiel für Speichel-Diagnostik, die in den USA bereits seit Längerem im Einsatz ist, nennt er jedoch: den HIV-Speicheltest.
Ungewöhnlicher Speichel: Worauf man achten sollte
Auch zu Hause kann es gelegentlich nicht schaden, ein wenig auf seinen Speichel zu achten – und zwar nicht nur dann, wenn einem die Spucke wegbleibt. Nicht immer müssen bei Veränderungen im Speichelfluss gleich die Alarmglocken schrillen, andere sollten jedoch ernst genommen werden. Wir haben bei Dr. Haririan nachgefragt, was Auffälligkeiten beim Speichel bedeuten können:
Zu wenig Speichel: „Zu wenig Speichel kann unterschiedliche Ursachen haben. Bei älteren Personen nimmt die Speichelproduktion von Natur aus ab, oft spielen aber auch Antidepressiva und andere Medikamente eine Rolle. Raucher:innen haben ebenso einen verminderten Speichelfluss.“ Wer unter Mundtrockenheit leidet, könne versuchen, selbst die Speichelproduktion anzuregen: „Zuckerfreie Bonbons oder Speichelersatzmittel können dabei helfen.“
Zu viel Speichel: Dies sei vor allem bei zahnenden Kindern zu beobachten und bei Erwachsenen eher eine Seltenheit. Sollte es doch einmal vorkommen und einem nicht gerade wegen einer leckeren Speise das Wasser im Mund zusammenlaufen, könnte sehr starker Speichelfluss laut Dr. Haririan mit einem Speicheldrüsenproblem oder Vergiftungen in Zusammenhang stehen. Wer generell zu stärkerem Speichelfluss neigt, ohne dass dem eine Erkrankung zugrunde liegt, könne dies kaum selbst beeinflussen. „Über die Ernährung kann man eine gewisse Lenkung erzielen, z.B. scharfe Speisen vermeiden“, erklärt er.
Speichel mit ungewohntem Geschmack: Dies sei ein ernstzunehmendes Warnsignal, bei dem man sich nicht mit Zähneputzen oder einer Mundspülung zufriedengeben sollte. „Ein schlechter Geschmack im Mund hängt oft mit einer unbehandelten Parodontitis zusammen. Aus Zahnfleischtaschen entleert sich manchmal schmerzlos Eiter in den Speichel und wird dann als unangenehmer Geschmack empfunden. Bei solchen indirekten Warnzeichen einer Parodontitis sollte eine Parodontologin/ein Parodontologe konsultiert werden – eine einfache Mundhygiene würde hier nicht mehr ausreichen!“, warnt Dr. Haririan.
Speichel mit außergewöhnlicher Farbe: Dies ist ein vorübergehender Zustand, wie Dr. Haririan versichert. „Manche Lebensmittel verfärben den Speichel kurzfristig und die Zähne längerfristig.“ Ganz oben auf der Liste stünden hierbei rote Rüben, Rotwein, Tee oder Kaffee. Ebenfalls ein Faktor für Verfärbungen im Mundraum: Rauchen.
Blut im Speichel: Findet sich jedoch Blut im Speichel, sollte das auf keinen Fall ignoriert und immer untersucht werden: „Blut im Speichel kommt meist von einer Zahnfleischentzündung oder einer Parodontitis und sollte sehr ernst genommen werden“, mahnt der Experte.
Ungewöhnlicher Speichel: Wann sollte man zum Arzt oder der Ärztin gehen?
Da Eigendiagnosen jedoch unmöglich sind, sollte der Weg gerade bei bestimmten Warnsignalen im Mundraum stets in die Arztpraxis führen. Neben dem bereits erwähnten Beispiel des geschmacklich auffälligen Speichels warnt Dr. Haririan davor, Blut im Speichel zu unterschätzen. „Wenn man Blut irgendwo anders am Körper hat, ist man meist viel alerter und kümmert sich sofort um die Wunde. Im Mund wird es oft bagatellisiert, dabei könnte schon eine tiefgreifende Entzündung dahinterliegen, bei welcher sich auch schon der Kieferknochen zurückbildet.“ Man sollte also nicht zögern, eine ärztliche Untersuchung zu vereinbaren. Anlaufstelle sei bei Blut im Mundraum die Parodontologin beziehungsweise der Parodontologe.
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Ein weiteres dringendes Warnsignal sei, wenn sich plötzlich der Speichelfluss ändert und man eventuell auch eine Schwellung im Halsbereich beobachte. Hierfür könnte eventuell ein Speichelstein die Ursache sein, welcher einen Speichelausführungsgang verlegt. „Dabei sollte sofort eine Ärztin/ein Arzt, am besten eine Kieferchirurgin/ein Kieferchirurg konsultiert werden“, rät der Experte.
Was eine gesunde Mundflora stört
Sofern keine Erkrankung vorliegt, ist es kein Hexenwerk, einen gesunden Speichelfluss sicherzustellen, der mit den nötigen Enzymen, Mineralstoffen und anderen wichtigen Bestandteilen angereichert ist. „Eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Flüssigkeitszufuhr und ein gesunder Lebensstil sind für eine physiologische Speichelzusammensetzung und -fließrate ausreichend.“
Wer zusätzlich zu Mundspülungen greift, tut sich jedoch in der Regel nichts Gutes. Denn wie auch in anderen Bereichen des Körpers gilt: Nicht alle Bakterien sind schlecht – einige haben in der Normalflora sogar eine wichtige Funktion. „Tägliche Mundspülungen sind nicht nötig und stören sogar das Mikrobiom“, betont Dr. Haririan. Bestimmte Umstände können eine zusätzliche Hygiene notwendig machen – diese sollte allerdings nicht auf eigene Faust beschlossen werden, sondern erst nach ärztlicher Untersuchung erfolgen: „Individuelle Mundpflegeprodukte sollten von Zahnmediziner:innen empfohlen werden, um eine gute Mundgesundheit und damit auch Lebensqualität aufrechtzuerhalten.“
Unser Experte: Dr. med. dent. Hady Haririan
Dr. med. dent. Hady Haririan wurde direkt nach seiner Habilitation in den Lehrstuhl für Parodontologie an der Zahnklinik der Sigmund Freud Privatuniversität Wien berufen und leitet diese Abteilung der SFU heute. Seit 2012 ist er außerdem Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie (ÖGP) und seit 2019 deren Generalsekretär.
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