Experten( )Wissen: Warum Frauen mehr Schlafprobleme haben als Männer – und was hilft

Der Somnologe Markus. B. Specht im exklusiven Interview

Laut einer aktuellen Umfrage der National Sleep Foundation berichteten Frauen deutlich häufiger als Männer über Probleme beim Ein- und Durchschlafen. Ob Frauen tatsächlich mehr Schlafprobleme als Männer haben und was Frau tun kann, um einen besseren und erholsameren Schlaf zu bekommen, darüber haben wir mit Diplom-Psychologe Markus. B. Specht, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin, gesprochen.

Erholsamer Schlaf ist für den Menschen essenziell: Insbesondere Frauen leiden oft unter sogenannter Insomnie, also Ein- und Durschlafproblemen. (Bild: Getty Images)
Erholsamer Schlaf ist für den Menschen essenziell: Insbesondere Frauen leiden oft unter sogenannter Insomnie, also Ein- und Durschlafproblemen. (Bild: Getty Images)

Probleme beim Ein- und Durchschlafen kommen häufig vor, insbesondere mit zunehmendem Alter. Und für Frauen können diese Schlafprobleme laut Untersuchungen sogar noch weitreichendere Folgen haben, wie eine aktuelle Studie der National Sleep Foundation herausgefunden hat. Die Ergebnisse stellen beispielsweise einen Zusammenhang zwischen Schlafmangel und depressiven Symptomen her – rund 65 Prozent der Befragten, die unzufrieden mit ihren Schlafgewohnheiten sind, klagten über leichte bis stärkere depressive Symptome, wobei 31 Prozent über mittelschwere bis schwere Symptome berichteten.

In Deutschland leiden rund 15 Prozent der Erwachsenen an einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung. Grundsätzlich können Schlafprobleme durch eine Reihe von Faktoren verursacht werden, darunter biologische, psychologische und soziale, sagen Expert*innen. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es Dinge gibt, die man tun kann, um morgens wieder erholt(er) aufzuwachen – Stichwort: Schlafhygiene.

Darüber und warum Frauen häufiger unter Schlafproblemen leiden und was der Unterschied zu Schlafstörungen ist und wie wir wieder besser schlafen hat Yahoo Life mit Dipl.-Psych. Markus. B. Specht, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin an der DKD Helios Klinik Wiesbaden, gesprochen.

Yahoo Life: Stimmt es wirklich, dass Frauen mehr Schlafprobleme haben als Männer?

Markus Specht: Es ist auf alle Fälle so, und das zeigt sich in allen Studien und Befragungen, dass Frauen im Schnitt doch mehr unter Schlafstörungen – konkreter unter Ein- und Durchschlafstörungen – leiden. Generell unterscheiden wir sechs große Schlafstörungsgruppen. Die Studie an sich zielt auf das Problem des Ein- und Durchschlafens ab, eine sogenannte Insomnie – und das ist das, worunter Frauen tatsächlich mehr leiden als Männer.

Wie unterscheiden sich Schlafprobleme von Schlafstörungen?

Wenn es krankhaft ist, sprechen wir über eine chronische Insomnie. Und die Frage ist, ab wann wird es jetzt krankhaft, also wo hört das Problem auf, wo fängt die Erkrankung an? Dabei es geht um Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen, dem Früherwachen – das Ganze muss dreimal in der Woche passieren und mindestens drei Monate anhalten. Zudem muss auch eine Tagesbeeinträchtigung vorliegen, das heißt, wenn ich nachts über schlechtes Ein- oder Durchschlafen klage, tagsüber aber fit bin, dann ist das eher ein Problem als eine Erkrankung.

Grundsätzlich ist es – auch darüber gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse – normal, dass man nachts mehrmals aufwacht.

Ganz richtig, denn – wenn wir uns die menschliche Menschheitsgeschichte anschauen – ist es tatsächlich sinnvoll, dass wir nachts wach werden: Wir haben vor 40.000 Jahren noch in Höhlen gelebt und da war es einfach überlebensnotwendig, dass wir ab und zu nachts wach werden und gucken, ob der Vorbesitzer, also zum Beispiel der Höhlenbär, nicht wieder zurückkommt. Deshalb ist es auch jetzt immer noch normal, dass wir nachts bis zu zwölf Mal wach werden, ohne dass wir uns daran erinnern – das ist die sogenannte Schlafamnesie. Wenn ich allerdings drei, vier oder fünf Minuten wach liege, dann noch auf die Uhr schaue, das dann noch negativ bewerte, dann ist man ganz schnell genau bei diesem Schlafproblem – und wenn das über drei Monate dreimal in der Woche passiert, dann hat man eben eine eigenständige Erkrankung.

Powernap: Wer tagsüber für eine bestimmte kurze Zeit schläft, ist intelligenter

Welche Ursachen liegen dem Ganzen zugrunde? Die Studie spricht davon, dass die hormonellen Unterschiede zwischen Mann und Frau großen Einfluss darauf nehmen.

Grundsätzlich ist es so, dass Testosteron, also das männliche Sexualhormon, entspannt. Wenn ich entspannt bin, kann ich auch besser einschlafen. Progesteron wirkt nicht per se anspannend, aber dieser hormonelle Unterschied ist eine mögliche Erklärung, warum Männer besser ein- und durchschlafen können. Bin ich generell angespannter, weil ich zum Beispiel am nächsten Tag einen wichtigen Geschäftstermin habe, steigt das sympathische Nervensystem an und das führt eben dazu, dass der Parasympathikus nicht so gut aktiviert werden kann. Dieser wiederum ist wichtig fürs Schlafen. Wenn ich als Mann mit Testosteron schon relativ gut vom Sympathischen zum Parasympathischen umschalten kann, ist das natürlich besser als bei der Frau, die da eben schneller Probleme damit haben kann. Es spielen aber nicht nur die Hormone eine Rolle, sondern auch, ob man eher leicht schläft, tief schläft, wie gut man generell abschalten kann.

Besonders bei Frauen scheinen allerdings die Hormone und deren Veränderung im Laufe des Alters eine entscheidende Rolle zu spielen, wenn es um Schlafstörungen geht.

Wenn man sich die Altersverteilung anschaut, nehmen die Schlafstörungen generell je älter wir werden zu, bei Frauen um die Menopause, also wo es nochmal um eine Veränderung der Hormone geht, deutlich mehr. Zwischen 50 und 54 Jahren erkennt man bei Frauen diesbezüglich eine deutliche Zunahme, danach sinkt das Risiko wieder ab.

Die Studie stellt einen Zusammenhang her zwischen Schlafmangel und depressiven Symptomen – wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären?

Unabhängig von den Geschlechtern muss man sagen, dass es deutliche Zusammenhänge gibt zwischen Insomnie und Depression – man kann dabei schwer sagen: Was ist Henne, was ist Ei. Denn oft ist eine Insomnie Vorbote einer Depression aber gleichzeitig auch Teil der Diagnose einer Depression. Laut einer Untersuchung von 2018 haben rund 85 Prozent der Patienten mit Depression auch eine Insomnie. Ich vertrete deshalb vehement die Ansicht, dass bei Patienten, bei denen ganz klar neben der Depression eine chronische Insomnie diagnostiziert wurde, das Ganze wie zwei eigenständige Erkrankungen behandelt werden muss – die selbstverständlich miteinander verbunden sind. Es lässt sich sehr gut belegen, dass wenn im Rahmen einer Despression nur die insomnischen Beschwerden behandelt werden, sich auch die anderen [depressiven Beschwerden] verbessern.

Wie wirkt sich eine Insomnie, also eine Ein- und Durschlafstörung, auf den Alltag aus?

Wenn man über längere Strecken hinweg zu wenig schläft und weiß, ich habe zu wenige Stunden geschlafen, dann ist allein schon das eine Tatsache, die mich morgens mürbe macht. Schläft man unterbrochen, wenig oder in mehreren Stücken pro Nacht, dann kann mein Schlaf nicht mehr die Funktionen erfüllen, die er sonst hat, z.B. die Erholung: Dann bin ich müde, erschöpft – doch Patienten mit einer chronischen Insomnie sind selten schläfrig und können beispielsweise keinen Mittagsschlaf machen, weil sie innerlich so aufgedreht sind, sich Ängste entwickeln können. Gedanken wie "Ich muss doch schlafen" oder "Ich muss morgen fit sein" erhöhen den Druck – es entwickelt sich ein Kreislauf, der sich hochschaukelt und dann wiederum am Tag zu Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen oder Vergesslichkeit führt.

Wie viele Stunden sollte ein erwachsener Mensch denn schlafen?

Soviel, wie ich es brauche. Kommt man mit weniger Schlaf aus, also beispielsweise sechs Stunden, und will dann die oft zitierten acht Stunden "vollkriegen", liegt man wach im Bett – und kann sich schlimmstenfalls eine Insomnie angedeihen lassen, denn was passiert: Mein Gehirn geht an, ich fange an nachzudenken – und da der Mensch ein lernendes Wesen ist, lernt das Gehirn, das wach im Bett liegen mit dem Vorgang des Nachdenkens zu verknüpfen. Zieht sich dies über einen längeren Zeitraum, können daraus negative Gedanken und Emotionen entstehen, die mit dem Bett gekoppelt sind, woraus sich dann die kognitive Komponente einer insomnischen Problematik ergibt.

Was kann Betroffenen helfen, den Schlaf zu verbessern?

Für alle Menschen ist das Thema Schlafhygiene relevant: Hierbei geht es darum, ob es Sinn macht, im Dunkeln zu schlafen, ist es zu kalt oder zu warm, aber auch Dinge wie abends keinen Kaffee oder schweres Essen zu sich zu nehmen oder ähnliches. Wenn es um durschschlafgestörte Patienten geht, geht es um das Einhalten eines regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus: Viele Betroffene versuchen, am Wochenende den fehlenden Schlaf nachzuholen. Das kann ein gesunder Mensch, aber bei jemandem mit Ein- und Durchschlafstörungen funktioniert das nicht, weil man dadurch die innere Uhr (die verantwortlich für den Schlaf-Wach-Rhythmus ist) abschwächt.

Unsere innere Uhr hat einen sehr ausgewogenen rhythmischen Wechsel zwischen Schlafen und Wachen. Wir takten unsere innere Uhr, indem wir morgens aufstehen, durch das Licht bekommt der suprachiasmatische Nukleus im Gehirn die Information "Es ist hell", die Produktion des Melatonins wird "abgeschaltet" und die Nacht ist beendet. Bei Patienten ist es das Ziel, wieder in einem bestimmten Zeitintervall zu schlafen, sie sollten also beispielweise immer, auch am Wochenende, zur selben Zeit aufstehen. Ebenfalls hilfreich kann eine sogenannte Bettzeitverkürzung (befristete Schlafrestriktion) sein, sprich: Man geht für einen gewissen Zeitraum, ca. sechs bis acht Wochen, nicht für acht bis zehn Stunden, sondern eben nur für beispielsweise sieben Stunden (oder weniger) ins Bett – und zwar dann, wenn man richtig müde ist, nicht wenn man erschöpft ist, das ist ein großer Unterschied. So kann der Körper lernen, wieder gut zu schlafen, und die Schlafqualität verbessert sich ebenfalls.

Unser Experte: Diplom-Psychologe und Somnologe Markus B. Specht

Dipl. Psych. Markus B. Specht, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin an der DKD Helios Klinik Wiesbaden (Bild: )
Dipl. Psych. Markus B. Specht, Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin an der DKD Helios Klinik Wiesbaden (Bild: )

Diplom-Psychologe Markus. B. Specht ist als Somnologe Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), Vorsitzender der Gesellschaft für Schlafmedizin in Hessen (GSMH) sowie Leiter des Zentrums für interdisziplinäre Schlafmedizin an der DKD Helios Klinik Wiesbaden, die darauf spezialisiert ist, den Ursachen für Schlafstörungen auf den Grund zu gehen.

Anmerkung der Redaktion: Depressionen können mit professioneller Hilfe gelindert und sogar geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie etwa bei der Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 – 1110111 und 0800 – 1110222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist anonym und kostenlos.

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