Experten()Wissen: Fleischfressende Bakterien töten 8 Menschen in den USA – so gefährlich sind sie

Sie lauern im sonnenwarmen Meerwasser und können über kleine, unbemerkte Wunden in den menschlichen Körper gelangen: Vibrionen, auch als Vibrio vulnificus bekannt, sind bereits für den Tod von acht Menschen in den USA verantwortlich. Wie gefährlich sind die fleischfressenden Bakterien hierzulande? Wir haben bei Experten nachgefragt.

Füße im Wasser
Vibrionen im Wasser können über offene Wunden übertragen werden (Symbolbild: Getty Images)

Laut dem Gesundheitsamt des Bundesstaates Florida haben Vibrionen in diesem Jahr in der Gegend von Tampa fünf Menschen getötet. Kürzlich gab es in Connecticut und New York drei weitere Todesfälle, die auf die fleischfressenden Bakterien zurückzuführen sind. Wie USA Today berichtet, haben sich zwei der Opfer wahrscheinlich beim Baden an der Küste Connecticuts angesteckt, das dritte Opfer beim Verzehr einer rohen Auster. Alle waren über 60 Jahre alt.

Sommerwarmes Wasser – ein Traum für Vibrionen

"Grundsätzlich sollten Menschen mit offenen oder schlecht heilenden Wunden sommerwarmes Meerwasser (ab 20 Grad Wassertemperatur) meiden. Dies gilt umso mehr, wenn sie an Vorerkrankungen oder an einem geschwächten Immunsystem leiden“, rät das Bundesinsitut für Risikobewertung (BfR).

Verbraucher können sich allerdings auch durch den Verzehr kontaminierter Meeresfrüchte (vor allem bei Rohverzehr von Austern bzw. dem Verzehr nicht ausreichend erhitzter Meeresfrüchte und Fischprodukte) oder durch die Aufnahme von kontaminiertem Wasser infizieren. "Die meisten lebensmittelbedingten Vibrio-Infektionen werden durch die drei Spezies Vibrio parahaemolyticus, Vibrio cholerae und Vibrio vulnificus verursacht“, so das BfR.

"Neben den Erkrankungen durch Lebensmittel können viele Vibrionen auch Wund- und Ohrinfektionen verursachen, die durch Kontakt mit Vibrionen-haltigem Wasser ausgelöst werden. Ein solcher Keim ist Vibrio vulnificus, der lebensgefährliche Blutvergiftungen (Sepsis) bei abwehrgeschwächten, meist älteren Personen hervorrufen kann“, heißt es von Seiten des Bundesinstituts für Risikobewertung weiter. Solche Infektionen können bei sehr langen Hitzeperioden nach dem Baden im Meer oder dem Wandern im Meerwasser (Spülsaum) auftreten.

Bedeutet das, dass wir ab sofort nicht mehr im Meer baden sollten?

Vibrionen sind gram-negative, stäbchenförmige, polar begeißelte Bakterien. Laut dem Umweltbundesamt (UBA) sind Vibrionen, auch die wenigen Arten, die Infektionskrankheiten beim Menschen auslösen können, typische Umweltbakterien, die in salzhaltigen aquatischen Lebensräumen vorkommen. Vor allem die Küstengewässer sowie Flussmündungen in Ost- und Nordsee, jedoch auch Binnengewässer wie beispielsweise Seen und Teiche, die eine für Vibrionen geeignete Salinität aufweisen, können betroffen sein.

RKI: Klimawandel erhöht Risiko für Infektionskrankheiten

Das Vorkommen pathogener Vibrionen in natürlichen aquatischen Ökosystemen kann dem BfR zufolge sehr stark durch abiotische, insbesondere durch die Wassertemperatur oder den Salzgehalt und durch biotische Faktoren wie beispielsweise Plankton beeinflusst werden. "Der stete Anstieg der Luft- und Wassertemperaturen im Rahmen des fortschreitenden Klimawandels kann die Häufigkeit und Dauer des Vorkommens dieser Bakterien zukünftig stark beeinflussen", warnt das BfR. Und auch das Umweltbundesamt sagt: "Die hohen Temperaturen im Sommer begünstigen die Vermehrung dieser Bakterien. Die Gefährdung einzelner Badestellen hängt u.a. von der Wassertiefe, der Wassertemperatur und dem aktuellen Salzgehalt sowie dem Vorkommen und der Konzentration von pathogenen Vibrionenarten ab."

Wie kann es zu einer Infektion kommen?

Sommerwarmes Meerwasser kann dem BfR zufolge auch zu einer Gefährdung des Verbrauchers durch den Konsum von rohen oder unzureichend gegarten Meerestieren führen, insbesondere, wenn beispielsweise Muschelanbaugebiete oder Fischzuchten von der Besiedlung bzw. Anreicherung durch pathogene Vibrio-Umweltbakterien betroffen sind.

Rote Garnelen
Auch bei der Zubereitung von Meeresfrüchten kann es zu einer Vibrionen-Infektion kommen (Symbolbild: Getty Images)

"Das kann zu Wund- und/oder gastrointestinalen Infektionen führen“, warnt das BfR. "Haupteintrittspforte der Bakterien sind nicht verheilte oberflächliche oder tiefe Hautverletzungen, über die die Bakterien bei Aktivitäten im erregerhaltigen Wasser, wie Baden oder Waten in den Körper gelangen können", erklärt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, Prof. Dr. Maria Vehreschild, Universitätsklinikum Frankfurt, Medizinische Klinik 2, Schwerpunkt Infektiologie. "Verletzungen, die sich bei der Verarbeitung von Meeresfrüchten und rohem Fisch ereignen, stellen ebenfalls eine potentielle Eintrittspforte dar. Auch der Verzehr von rohen bzw. halbrohen Meerestieren (Fisch, Austern, Muscheln, Krabben) können zu einer Infektion führen", so die Medizinerin von der DGI.

Bei gastroenteritischen Infektionen können krampfartige abdominale Schmerzen, Erbrechen, Übelkeit und wässriger Durchfall auftreten. Meist ist der Verlauf insgesamt mild. Bei schweren Verläufen kann es jedoch zu einer Sepsis kommen. Wird diese nicht rechtzeitig erkannt und antibiotisch behandelt, kann dies zum Mehrfachorganversagen und/oder einem septischen Kreislaufschock führen und im schlimmsten Fall tödlich enden. Die Inkubationszeit bei Vibrionen beträgt laut dem RKI 12 bis 72 Stunden.

Was kann man tun, damit man sich nicht infiziert?

"Sehr selten verläuft die Erkrankung schwerwiegend", erklärt Prof. Dr. Maria Vehreschild, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). "Im Wesentlichen besteht vorrangig eine Erkrankungsgefahr für Personen mit bestimmten Risikogruppen (insbesondere chronische Lebererkrankungen, chronische Niereninsuffizienz, Alkoholabhängigkeit, Diabetes mellitus, immunsupprimierende Erkrankungen sowie höheres Lebensalter)." Die DGI empfiehlt Personen, die einer Risikogruppe angehören, den Kontakt offener Wunden mit Salzwasser zu meiden.

Leichte Wundinfektionen bei Personen, die keine schwerwiegenden Grunderkrankungen haben, sprechen im Allgemeinen gut auf lokale Pflege und orale Antibiotika-Therapie an. Auch bei bestehenden Vorerkrankungen ist die Infektion bei einer rasch eingeleiteten, geeigneten Antibiotikatherapie gut zu behandeln.

Was passiert, wenn man die Infektion nicht richtig behandelt?

"Unbehandelte oder verzögert therapierte Infektionen können rasch voranschreiten, und eine zusätzliche chirurgische Behandlung benötigen", warnt Prof. Dr. Vehreschild von der DGI. Die Ausbreitungen können zu tiefgreifenden Nekrosen und Hautulcerationen führen, so das RKI. In seltenen Fällen ist eine Amputation von Gliedmaßen notwendig. Ein frühes Symptom kann ein lokaler Schmerz sein, der angesichts der sichtbaren Wunde überproportional stark erscheint. Zudem können Fieber und Schüttelfrost auftreten.

Was muss ich bei der Verarbeitung von Meerestieren beachten?

Mit Blick auf die Zubereitung von Meerestieren rät das BfR Verbrauchern, darauf zu achten, dass die Lebensmittel ausreichend erhitzt werden. "Die Vibrionen werden beim Erhitzen auf mindestens 70 Grad für zwei Minuten im Inneren des Lebensmittels sicher abgetötet“, so das Institut. Zudem sollten die allgemeinen Hygieneregeln bei Lagerung und Zubereitung der Lebensmittel, (Stichwort "Küchenhygiene“) befolgt werden, um einen Schutz vor Lebensmittelinfektionen zu leisten.

Auch bei der Zubereitung von Fisch und Meerestieren sollte darauf geachtet werden, sich vor Verletzungen bzw. der Aufnahme etwaiger Erreger in die Blutbahn zu schützen. Empfohlen werden deshalb geeignete Schutzmaßnahmen wie Handschuhe, vor allem, wenn Verletzungen der Haut vorliegen. Zur Verwendung von Schnittschutzhandschuhen wird auch beim Öffnen von Austern und der Verarbeitung von ganzen Garnelen bzw. Filetieren von Fischen geraten. Mehr Infos zu bakteriellen Lebensmittelinfektionen durch Vibrionen findest du hier.

Wo kommen Vibrionen vor?

Vibrio vulnificus vermehrt sich vor allem bei einem Salzgehalt von 0,5 bis 2,5 Prozent und ab einer Temperatur von über 20 Grad stark. Auch an der Ostsee gab es Fälle, denn diese Bedingungen sind in warmen Sommern auch an Teilen der deutschen Nord- und Ostseeküste zu finden. Laut dem RKI besteht ein gewisses Risiko, auch dort an einer Infektion durch Vibrionen zu erkranken.

Warmes Ostsee-Wasser: Gefahr von Vibrionen-Infektion steigt

"In der aktuell geltenden EG-Badegewässerrichtlinie 2006/7/EG zur Überwachung von Badegewässern sind mikrobiologische Untersuchungen auf Vibrionen im Rahmen der erforderlichen Untersuchungen zur Qualitätseinstufung nicht vorgesehen, hier liegt der Fokus auf Bakterien, die ein Verschmutzung der Badegewässer durch Fäkalieneinträge aufzeigen", teilte das Umweltbundesamt auf Nachfrage mit. Dem UBA sind, Stand Frühjahr 2023, aus dem Jahr 2022 keine Vibrionennachweise (z.B. als Grund für die Schließung von Badegewässern oder als Grund für ein Abraten vom Baden) gemeldet worden.

Laut Robert-Koch-Institut sind Infektionen mit Nicht-Cholera-Vibrionen selten, jedoch besteht für diese Infektion erst seit dem 1.3.2020 eine namentliche Meldepflicht, sodass bisher noch keine ausreichenden belastbaren Surveillance Daten vorliegen. Dem RKI zufolge wurden im vergangenen Jahr lediglich sechs Fälle von Infektionen mit Vibrio vulnificus übermittelt. Bei fünf dieser sechs Fälle ist als Infektionsort Deutschland angegeben. Das Risiko, sich an der Ost- oder Nordsee zu infizieren, ist also sehr gering. Insgesamt sind zwischen 2003 und 2020 neun Fälle bekannt, bei denen die Erkrankung tödlich verlief.

Das zeigt auch eine interaktive Karte des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), mit der sich verfolgen lässt, wie gut die Bedingungen in den jeweiligen europäischen Küstengewässern für die Vibrionenvermehrung sind. Dieser Karte lässt sich ebenfalls entnehmen, dass das Risiko für eine Vibrionen-Infektionen derzeit am Schwarzen Meer in Bulgarien, Rumänien und der Ukraine am höchsten ist.

VIDEO: Schuld sind die wärmeren Ozeane: Fleischfressende Bakterien auf dem Vormarsch