Film-Tipp: Der Erotik-Thriller „Babygirl“ mit Nicole Kidman beleuchtet die Komplexität von weiblicher Lust
Im Durchschnitt haben Frauen weniger Orgasmen als Männer. In Zahlen gemessen haben Männer beim Sex in 95 Prozent der Fälle einen Orgasmus, bei Frauen liegt die Quote im Vergleich nur bei 66 Prozent. Die niederländische Schauspielerin und Regisseurin Halina Reijn bewegte der sogenannten „Orgasm Gap“ dazu, einen Film über die weibliche Lust zu drehen. Als ihr eine Freundin von einer Frau erzählte, die während ihrer gesamten 25-jährigen Ehe nie einen Orgasmus mit ihrem Mann erlebt hatte. Gleichermaßen fasziniert, aber nicht allzu überrascht darüber, resultiert daraus der Erotik-Thriller „Babygirl“ mit Nicole Kidman in der Hauptrolle. Der Film handelt von Romy, einer taffen Tech-CEO, die ihre Karriere und Familie aufs Spiel setzt, als sie eine Affäre mit einem viel jüngeren Praktikanten, gespielt von Harris Dickinson, beginnt. Das Ergebnis: Ein packender Film, der die Geschlechter- und Machtdynamiken, die chaotische Komplexität von Beziehungen und die sexuellen Wünsche von Frauen erforscht – und das alles durch den weiblichen Blick inszeniert.
Der Film „Babygirl“ bringt Nicole Kidman und Harris Dickinson mit Verschiebung von Macht und Lust auf die Leinwand
In expliziter und erotisch aufgeladener Kinematografie beleuchtet Regisseurin Halina Reijn den inneren Konflikt der Hauptfigur Romy (Nicole Kidman), Gründerin und CEO eines erfolgreichen Robotik-Unternehmens, das gerade an der Börse durchstartet. Sie lebt in einer Welt der Kontrolle und ist sich ihrer Stellung in einer von Männern dominierten Branche bewusst. Privat ist sie glücklich verheiratet mit einem ebenso erfolgreichen Theaterregisseur, gespielt von Antonio Banderas, und ist Mutter zweier Töchter im Teenageralter. In ihrer langjährigen Ehe verspürte sie nie wahre Lust. Das ändert sich, als der neue Praktikant Samuel (Harris Dickinson) in ihrer Firma anfängt. Selbstbewusst setzt sich Samuel über alle Regeln hinweg und fordert Romys Dominanz heraus. Diese Verschiebung des Machtverhältnisses weckt in Romy ein sexuelles Verlangen und entfacht unterdrückte Leidenschaften. Sie beginnen eine Affäre, bis nach und nach die Grenzen verschwimmen. Und Romy zunehmend die Kontrolle verliert und damit alles riskiert.
Der Erotik-Thriller handelt von einer unkonventionellen Liebesgeschichte, in der Macht und Lust ständig zwischen den Protagonist*innen wechselt. Die Regisseurin vereint die Themen Sexualität und Dominanz im Stil von klassischen erotischen Thrillern der 80er und 90er-Jahre wie „Basic Instinct“ oder „9½ Wochen“, die zwar starke weibliche Charaktere porträtieren, jedoch nie die weibliche Sichtweise erzählen. Die zentrale Frage nach Selbstbestimmung und der Balance zwischen Kontrolle und sexuellem Verlangen bricht die Tabus rund um weibliche Lust und stellt dabei gesellschaftliche Normen infrage. Neben der sexuellen Spannung zwischen Romy und Samuel wird auch die Auseinandersetzung mit Romys eigenen Identität beleuchtet. Um ihrer komplexen gesellschaftlichen Rolle als erfolgreiche Führungskraft und Matriarchin gerecht zu werden, unterdrückt Romy ihre Bedürfnisse und Wünsche.
Als Gegenspieler verkörpert Harris Dickinson einen jungen, spielerischen Mann, der, wie viele junge Männer, seine Männlichkeit in einer sich wandelnden Welt zu definieren versucht. „Diese neue feministische Welle dreht sich stark um Zustimmung, darum, wie man Frauen behandeln kann und wie sie behandelt werden wollen – und er ringt ein bisschen damit, aber er setzt sich damit in meinen Augen auf eine sehr schöne Weise auseinander“, erklärt Regisseurin Reijn den Charakter Samuel. „Er probiert mit ihr verschiedene Rollen aus. Er versucht herauszufinden: 'Wer wäre ich, wenn ich männlicher wäre?' Und er fragt sie auch: 'Denkst du, dass ich ein schlechter Mensch bin?'“
„Samuel besitzt eine Sensibilität, nach der Romy sich vielleicht sehnt“, sagt Dickinson. Die Mischung aus Sensibilität und Dominanz erlaubt es Samuel, zu Romy vorzudringen.
Die Charaktere wissen natürlich, was sie tun – sie sprechen es sogar an: ‚Du musst nein sagen, aber du musst ja sagen.‘ Sie spielen eine Art Spiel mit Worten über Macht und Sexualität. Samuel nutzt die Hierarchie zwischen ihnen als sexuelle Spannung. Selbst wenn sie kämpfen, selbst wenn sie sich erpressen, bleibt es ein sexuelles Spiel.
Reijn
Besonders die Chemie zwischen Nicole Kidman mit ihren Schauspielkollegen Harris Dickinson und Antonio Banderas wird von den Kritiker*innen besonders hervorgehoben. Bereits jetzt hat „Babygirl“ das Potenzial, zum künftigen Filmklassiker des – bisher Männer dominierten – Genres Erotik-Thriller zu werden: Bei den Filmfestspielen in Venedig 2024 war „Babygirl“ nominiert und Nicole Kidman wurde mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Vielleicht genau, weil der Film den Widerspruch aufzeigt, mit dem Frauen konfrontiert werden, ständig sexualisiert zu werden, ohne jemals echte Selbstbestimmung auszuüben.
„Babygirl“ ist ab 30. Januar 2025 in deutschen Kinos zu sehen.