Kampinsky bis Campendonk: Eine neue Ausstellung in Berlin belegt den Facettenreichtum des Blauen Reiters

Ausstellung in Berlin „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“

August Macke,Landschaft mit hellem Baum“, 1914, Aquarell über Bleistift, 22,2 x 30,9 cm

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Volker-H. Schneider,

Über den Blauen Reiter und den Einfluss des losen Kollektivs auf die Kunst seiner Zeit und der Folgedekaden wurde bereits viel gesagt und geschrieben. Motive wie „Das blaue Pferd“ von Franz Marc oder der „Hutladen“ von August Macke etablierten sich als Ikonen der Kunst und ihres Zeitgeistes, deren Wirkung bis in die Gegenwart reicht. Und doch gibt es überraschenderweise immer noch Werke, die der breiten Öffentlichkeit bislang weitestgehend unbekannt sind: wie einige der Exponate aus der Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts, die ab 1. März 2025 in einer neuen Ausstellung namens „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ präsentiert werden.

Ausstellung in Berlin „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“

Franz Marc, „Ruhende Pferde“, 1912, Farbholzschnitt, 17 x 22,9 cm (Druck)

© Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz,

Anfang, Selbstverständnis und Ende des Blauen Reiters

Bereits im Jahre 1909 war der Moskowiter Künstler Wassily Kandinsky Mitglied der neubegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“ (kurz: „N.K.V.M.“). Ebenfalls Teil der Vereinigung war Franz Marc. Aufgrund interner Unstimmigkeiten spaltete sich Kandinsky jedoch schon bald von der Gruppe ab, auch Gabriele Münter und Franz Marc verließen die N.K.V.M. kurze Zeit später. 1911 veranstaltete Franz Marc die erste Ausstellung des „Blauen Reiters“, der sich Wassily Kandinsky anschloss. In ihrem Selbstverständnis deuteten sich die beiden Künstler weniger als Gruppe oder Vereinigung, sondern schlichtweg als Herausgeber des gleichnamigen Kunst-Almanachs. Die darin beschriebenen theoretischen Abhandlungen zu ihrem Kunstverständnis wurden jeweils 1911 und 1912 in Ausstellungen in München vorgestellt, in denen die Kunstwerke als Beleg zur Theorie fungieren sollten. Zur Namenswahl sagte Kandinsky später: „Den Namen ‚Der Blaue Reiter‘ erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst.“ Die Mitwirkenden, zu denen schnell weitere Künstler*innen gehörten, vertraten die Meinung, jeder Mensch solle Kunst genießen können, ganz gleich, aus welcher Bevölkerungsschicht. Der Blaue Reiter wollte Kunst demokratisieren und einfacher verständlich machen. Dafür entwickelten die beteiligten Künstler*innen neue Ausdrucksformen, schlossen sich über ihre Genregrenzen hinweg mit Tänzer*innen, Komponist*innen und Poet*innen zusammen und proklamierten ein gleichberechtigtes Dasein der Kunstformen. Viele Werke aus dieser Zeit werden dem Expressionismus zugeordnet.

Aufgrund der Betrachtung als Ort vielfältiger Kunstrichtungen statt als Vereinigung, gibt es keine eindeutige Festlegung der beteiligten Künstler*innen. Dennoch lassen sich einige von ihnen dem Kontext des Blauen Reiters zuordnen, etwa durch ihre Teilnahme an den selbstbetitelten Ausstellungen, darunter Gabriele Münter, August Macke, Heinrich Campendonk, Paul Klee, Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin und Alfred Kubin. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs endete unfreiwillig die Zeit des Blauen Reiters. Einzelne Künstler*innen wie Gabriele Münter und Wassily Kandinsky setzten sich ins Ausland ab, andere ereilte ein tragisches Schicksal, darunter Franz Marc und August Macke, an der Front. Kandinsky, der über die Schweiz schließlich nach Russland zurückkehrte, sagte später auf Nachfrage, ob er die Kunst des Kreises fortführen würde: „Der Blaue Reiter – das waren zwei: Franz Marc und ich. Mein Freund ist tot, und allein möchte ich es nicht unternehmen.“ So endete diese kurze, aber für die Kunst der Folgedekaden äußerst bedeutsame Epoche. Unter Nazi-Deutschland wurden einige Werke des Blauen Reiters als „entartete Kunst“ verunglimpft, zerstört oder ins Ausland verkauft. Durch diese Tatsache ist es möglich, dass bis heute gewisse Kunstwerke, die dem Blauen Reiter lose zugeordnet werden können, der breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt sind.

Ausstellung in Berlin „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“

Else Lasker-Schüler, „Abigail auf dem Thron“, um 1915, Rohrfeder und farbige Kreiden, 18,4 x 21,6cm

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz,

Das Kupferstichkabinett präsentiert unbekanntere Werke aus dem Kontext des Blauen Reiters

Das Berliner Kupferstichkabinett, Teil des Kulturforums am Potsdamer Platz, besitzt eine Sammlung von über 500.000 druckgrafischen Werken sowie mehr als 100.000 Zeichnungen mit Fokus auf große Werkgruppen um bedeutende Kunstschaffende wie Käthe Kollwitz, Edvard Munch oder Ernst Ludwig Kirchner. In dieser weitläufigen Kollektion sind jedoch auch einige Werke aus dem breiteren Kontext des Blauen Reiters zu finden, die nun erstmals mit der Ausstellung „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ der Öffentlichkeit präsentiert werden. Berlin als Austragungsort scheint naheliegend: Hier galt die Galerie „Der Sturm“ als bedeutende Plattform für künstlerische Aktivitäten des Blauen Reiters, die jedoch auch mit Einbruch des Ersten Weltkrieges ihr abruptes Ende nahmen. In insgesamt sieben Kapiteln mit rund 95 Exponaten beleuchtet das Kupferstichkabinett den Facettenreichtum des Blauen Reiters. Neben den bekannteren Vertreter*innen zeigt die Ausstellung zugleich Werke von Künstler*innen, die nicht dem engeren Münchener Kreis des Blauen Reiters angehörten, dennoch aber zu dessen breiterem Wirkkreis zugerechnet werden, wie André Derain und Natalja Gontscharowa.

Nach der Beschlagnahmung unzähliger Werke 1937, die als „entartete Kunst“ definiert wurden, gelang es dem Museum nach 1945 und vor allem in den Jahren um die Wende, einige Kunstwerke des Blauen Reiters anzukaufen. 2025 markiert das Jahr, in dem diese Sammlung erstmals anhand einer repräsentativen Selektion vorgestellt wird. Die Ausstellung zeigt Aquarelle von August Macke, Holzschnitte und Radierungen von Wassily Kandinsky sowie Illustrationen von Gabriele Münter, Oscar Kokoschka und Heinrich Campendonk für die in Berlin herausgegebene Zeitschrift „Der Sturm“. Ergänzt wird die museumseigene Kollektion mit Leihgaben aus Privatsammlungen und von den Staatlichen Museen in Berlin, etwa zwei Exemplare des Almanachs „Der Blaue Reiter“. Das Haupteigenmerk der Ausstellung gilt bis dato noch unbekannteren Werken wie Auszügen aus der Bildkorrespondenz zwischen der Dichterin Elke Lasker-Schüler und Franz Marc sowie dem weltweit einmaligen Holzschnitt „Fuga“, den Wassily Kandinsky bereits 1907 fertigte.

Ausstellung in Berlin „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“

Natalja Gontscharowa, „Weißer Pfau“, 1911 Lithographie, 14,2 x 9,2 cm

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz © VG Bild-Kunst, Bonn 2025,

„Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ hebt die künstlerische Diversität des Blauen Reiters hervor

Ein Ziel der Ausstellung des Kupferstichkabinetts ist es, die Vielseitigkeit des Blauen Reiters zu veranschaulichen. Besonders gut ist dies anhand der Arbeiten August Mackes zu sehen, denen daher ein eigenes Ausstellungskapitel gewidmet wird. Ebenfalls präsentiert werden die vielseitigen Inspirationsquellen des Blauen Reiters, darunter russische Bilderbögen aus dem 19. Jahrhundert und weitere religiöse Artefakte, die etwa von Wassily Kandinsky für dessen künstlerischen Ansatz geschätzt wurden. Durch ihre vielseitigen und teils weitläufig unbekannten Exponate ist die Ausstellung „Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ ein Highlight des Kunstjahres 2025, das sich für Kenner*innen wie für Kunstinteressierte, die sich bis dato noch weniger mit dem Wirken des Blauen Reiters befasst haben, gleichermaßen lohnt. Und das Wirken des Blauen Reiters als bis heute zeitlose Ressource für Inspiration belegt.

„Kosmos Blauer Reiter. Von Kandinsky bis Campendonk“ ist vom 1. März bis 15. Juni 2025 im Kulturforum des Kupferstichkabinetts Berlin zu sehen.