Low Carb und High Protein: Warum diese Diät-Trends so gefährlich sind

Immer wieder wird Low Carb zum großen Diät-Trend ausgerufen und tatsächlich streichen immer mehr Deutsche Kohlenhydrate weitgehend von ihrem Speiseplan. Warum das – sowie die erhöhte Zufuhr von Proteinen langfristig zu fatalen gesundheitlichen Problemen führen kann und welche Methoden sich auch langfristig viel besser eignen, das erklärt der Ernährungsmediziner Prof. Dr. med. Andreas Michalsen im Interview.

Obst und Gemüse sollte immer auf dem Speiseplan stehen - genauso aber auch komplexe Kohlenhydrate. (Bild: Getty Images)
Obst und Gemüse sollte immer auf dem Speiseplan stehen - genauso aber auch komplexe Kohlenhydrate. (Bild: Getty Images)

Yahoo Style: Nach wie vor zählt die Low Carb-Diät zu den beliebtesten Methoden, um abzunehmen. Dabei warnen viele Experten davor. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) verweist sogar auf eine Studie, die ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko bei einem sehr niedrigen Kohlenhydrateanteil nachweist.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen: Zuerst möchte ich gerne darauf hinweisen, warum es in diesem Zusammenhang immer wieder zur Verwirrung kommt. Das Problem ist, dass im Allgemeinen oft von Kohlenhydraten, Proteinen oder Fett gesprochen wird, dies aber nicht weiter differenziert wird. Natürlich sind sich alle einig, dass beispielsweise ein Soft Drink oder ein völlig überzuckerter Pudding keine guten Nahrungsmittel sind. Verrückterweise wurden in vielen Forschungen – zum Glück beginnt sich das nun zu ändern – bei einem hohen Kohlenhydratanteil gar nicht weiter unterschieden, ob dieser durch Vollkornbrot und Möhren bedingt ist oder durch Orangenlimonade und Snickers.

Das macht aber natürlich einen riesengroßen Unterschied?

Es gibt High Carb-essende Populationen – beispielsweise in den USA – die durch einen hohen Anteil von Zucker und einfachen Kohlenhydraten geprägt sind, woraus dann oft Krankheitsbilder wie Diabetes Typ 2 oder Bluthochdruck resultieren. Wenn man sich hingegen die sogenannten Blue Zones (Anm. d. Red.: Menschen in den sogenannten Blue Zones leben deutlich länger als der Durchschnitt) ansieht, so ist die Ernährung dort ebenfalls High Carb-geprägt, allerdings handelt es sich hierbei um gesunde Kohlenhydrate, wie sie in Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst stecken.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin. (Bild: Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Fotografin: Anja Lehmann)
Prof. Dr. med. Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin und Inhaber der Stiftungsprofessur für Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin. (Bild: Immanuel Albertinen Diakonie gGmbH, Fotografin: Anja Lehmann)

Ein grundlegender Fehler ist es also, von Kohlenhydraten in der Summe zu sprechen?

Genau. In der Studie, auf die sich die DGE bezieht, liegt diese Erkenntnis verborgen: Hier wurde herausgefunden, dass es eben die Extreme sind – nämlich Low Carb und High Carb – die zu einem höheren Sterblichkeitsrisiko führen. In der Sub-Analyse wird aber auch klar, dass sich ein hoher Kohlenhydrateanteil in Europa selten auf Vollkornbrot, Obst und Gemüse, sondern auf ungesunde Kohlenhydrate zurückführen lässt.

… Was am Ende genauso schädlich ist wie der komplette Verzicht auf Kohlenhydrate.

Der enorme Nachteil von Low Carb genauso wie bei der ketogenen Ernährung besteht unter anderem darin, dass diese Diäten extrem ballaststoffarm sind. Wir brauchen komplexe Kohlenhydrate und Ballaststoffe, die in Vollkorn & Co. stecken, unter anderem um unser Mikrobiom – also die Gesamtheit aller Mikroorganismen in unserem Verdauungstrakt – zu ernähren. Dies ist für unsere Gesundheit unerlässlich. Ein gesundes Darm-Mikrobiom verringert das Risiko, an Autoimmunerkrankungen wie Rheuma oder Multiple Sklerose, an Darmkrebs oder auch an Herzkrankheiten zu erkranken. Bei Low Carb liegt das Risiko außerdem darin, dass viele tierische Produkte und Proteine auf dem Speiseplan stehen.

Ein Trend, der sich aktuell auch in den sozialen Netzwerken widerspiegelt: Immer mehr junge Frauen verzichten auf Kohlenhydrate und greifen stattdessen zu sättigenden Proteinprodukten, wie Shakes. Wie wirkt sich das langfristig auf den Körper aus?

Langfristig ist es gefährlich, sehr viel Protein zu sich zu nehmen. Wenn man ausgewachsen ist und zu viel Protein aufnimmt, fördert man im Körper Entzündungen und Krankheitsrisiken. Es ist gut belegt – vor allem, was tierisches Protein betrifft – das es im Erwachsenenalter das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Krebs und Diabetes steigert. Mit einer High Protein-Diät wird man definitiv satt und man fühlt sich vor allem in jungen Jahren damit sehr gut und fit – doch auf lange Sicht steigert man das Krankheitsrisiko erheblich. Um noch einmal auf die Blue Zones zurückzukommen: Was sie alle gemein haben ist die Tatsache, dass dort überall auf Low Protein gesetzt wird. Es werden wahnsinnig viele komplexe Vollkorn-Kohlenhydrate gegessen, aber nur wenig Protein.

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Was ist das Problem mit den tierischen Proteinen?

Tierische Proteine enthalten sehr viel mehr schwefelsäurehaltige Aminosäuren. Vor allem Methionin, das in Fleisch- und Milchprodukten enthalten ist, ist dabei in den Fokus der Wissenschaft geraten. Wenn man beispielsweise bei Tierexperimenten vorzeitiges Altern und viele Entzündungsherde im Körper erzeugen will, wird Mäusen und Ratten im Labor viel Methionin verabreicht. Man gibt den Tieren sehr viel tierisches Protein und sie werden sehr krank.

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Woher rührt denn dann dieser ganze Eiweiß-Hype?

Protein wird überschätzt. Dabei wird aber komplett ignoriert, dass es, wenn wir zu viel davon essen, viele Nachteile hat. Ich denke, das rührt auch daher, dass für viele Deutsche – inzwischen nämlich für 67 Prozent der Männer und etwa 55 Prozent der Frauen – Übergewicht ein Problem ist und viel Protein zu essen kurzfristig ein dankbares Gegenmittel. Man muss sich aber unbedingt klarmachen, dass es langfristig nicht gesund ist.

Gibt es dennoch gute Eigenschaften?

Protein sättigt wesentlich besser als Fett und Kohlenhydrate. Es ist also auch keine gute Idee, völlig auf Low Protein zu setzen. Hülsenfrüchte, Tofu und Vollkorn sollten unbedingt auf dem Speiseplan stehen. Der zweite positive Effekt von Protein: Es fördert in jungen Jahren den Muskelaufbau und das Wohlbefinden. Sportler fühlen sich vitaler und kräftiger, wenn sie auf eine proteinhaltige Ernährung setzen – aber auch das wiegt die Nachteile auf lange Sicht natürlich nicht auf.

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Was wäre denn nun langfristig eine sinnvolle Alternative zum Low Carb und High Protein-Trend?

Sinnvoll ist es immer, den Anteil der ungesunden Kohlenhydrate zu reduzieren oder gar komplett zu eliminieren. Es gibt überhaupt keinen Grund, weiße Nudeln zu essen, außer dass es eine Gewohnheit ist. Was spricht dagegen, stattdessen immer zu Vollkornnudeln zu greifen? Und statt zum Toast zum Vollkornbrot? Auf dem Speiseplan sollten also immer komplexe Kohlenhydrate stehen. Klar, Ausnahmen – wie frische Semmeln am Sonntag – müssen immer möglich sein. Verzichten sollte man unbedingt auf Soft Drinks und süße Säfte, mit Ausnahme von Orangensaft, der in vielen Studien erstaunlich gut abschneidet. Und Kuchen und Süßigkeiten machen das Leben natürlich schöner, sollten aber ein bewusster Genuss sein und selten auf den Tisch kommen. Zu einem gesunden Lebensstil würde ich auch immer zum Fasten raten. Ein- bis zweimal im Jahr für fünf oder sieben Tage zu fasten, das ist immer eine gute Idee. Auf welche Technik man hierbei setzt, ist völlig egal. Hauptsache, man fastet. Auch das Intervallfasten birgt viele Vorteile.

Was hat es mit dem Intervallfasten auf sich? Wie funktioniert das?

Bei dieser Methode wird nicht an bestimmten Tagen, sondern jeden Tag zu bestimmten Uhrzeiten auf Nahrung verzichtet. Für Frauen eignet sich die 14:10-Methode – das bedeutet, dass sie 10 Stunden lang normal und im optimalen Fall gesund essen und 14 Stunden lang auf die Nahrungsaufnahme verzichten. Wer beispielsweise um 19 Uhr das Abendessen isst, kann um 9 Uhr auch schon wieder frühstücken. Bei Männern eignet sich die 16:8-Methode, wobei auch sie mit der 14:10-Methode viel bewirken können.

Wie wirkt sich das Intervallfasten langfristig aus?

Im Gegensatz zu längeren Fastenkuren oder Crash-Diäten bietet das Intervallfasten den Vorteil, dass der Stoffwechsel nicht gedrosselt und die Muskelmasse nicht abgebaut wird. Dadurch verliert man an Gewicht, während der Jojo-Effekt ausbleibt. Doch nicht nur die Gewichtsabnahme ist ein Pluspunkt: Intervallfasten stärkt die Immunabwehr, verbessert den Zucker- und Fettstoffwechsel, wirkt sich positiv auf die Herzgesundheit und die Darmflora aus und sorgt für allgemeines Wohlbefinden.

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