Physikerin Sabrina Gonzalez Pasterski: Warum sie lieber nicht die junge Einstein geworden wäre – und was es für Frauen stattdessen braucht, um in der Wissenschaft sichtbarer zu werden
Sabrina Gonzalez Pasterski ist ein Wunderkind der Physik – und wurde mit Anfang 20 als junge Einstein gefeiert. Warum das nicht der Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft hilft, erklärt sie im Interview
Rich Polk/Getty Images for Young Women‘s Honors,Einstein ist weiblich. Sie ist 31 Jahre alt. Und theoretische Physikerin. Natürlich, wie sonst könnte sie zu einem so großen Namen kommen, der nicht ihr eigener ist? In ihren Forschungen befasst sie sich mit der Holografie des Universums. „Wir wollen einfachere Erklärungen finden, um verschiedene Grenzen zu beschreiben“, sagt sie selbst. Und so verbringe sie die meiste Zeit damit, Dinge zu berechnen – genau wie die ganz Großen. Newton etwa. Oder eben Einstein.
Seinen Namen hat Sabrina Gonzalez Pasterski bereits vor ein paar Jahren verliehen bekommen. „Ich habe all diese Projekte gemacht, um zu zeigen: Schaut mal, wie cool ich sein kann“, so die Physikerin heute. Davon gab es viele: Nicht nur hat sie sich als junge Frau in einem männlich dominierten Bereich behauptet und die Celestial Holography Initiative am Perimeter Institut, an dem sie auch als stellvertretende Direktorin arbeitet, gegründet, auch startete sie ihre Karriere schon als Kind. Mit neun Jahren.
Wunderkind der Physik: So wurde Sabrina Gonzalez Pasterski zu Einstein
Während andere Papierflieger falteten, nahm sie ihre ersten Flugstunden, bastelte mit 12 an ihrem ersten Flugzeug und flog es mit 16. „Du wärst überrascht, wie viele Leute du kennenlernen kannst, wenn du als Kind etwas machst. Die Leute schlugen mir vor, auf Flugshows zu gehen und Menschen zu treffen, die Flugzeuge bauen. Sie wussten, dass ich eines Tages für diese privaten Raumfahrtunternehmen arbeiten wollte“, sagt Sabrina Gonzalez Pasterski. Im wahrsten Sinne des Wortes war Pasterski eine Überfliegerin. Und doch bezeichnet sie sich selbst genauso als naiv wie neugierig. Sie spricht von ihrer großen Liebe zur Mathematik in der Schule und von Vorbildern aus einer anderen Zeit – der Blütezeit der Physik in den 80er Jahren.
„Ich bewunderte die Leute, die in einem Bereich, der in der Vergangenheit viel geleistet hatte und ein wenig stagnierte, Großes leisten wollten.“ Und so führte auch sie die Theorien von Einstein und Co. weiter, löste sich von ihrem ursprünglichen Traum als Astrophysikerin und steuerte mit Anfang 20 über ein abgeschlossenes Studium mit Bestnote am Massachusetts Institute of Technology und der Harvard University in die theoretische Physik.
Das Coole an ihm ist, dass er ein guter Wissenschaftler war und einen Hype hatte. Das ist eine Seltenheit.
Sabrina Gonzalez Pasterski
Männer, Männer, und … sie
Wenn sie jetzt über die Größen ihres Fachs spricht, fällt immer wieder das Wort „Hype“ – etwa über Steven Hawking, der auf sie als Wunderkind der Physik aufmerksam wurde. „Das Coole an ihm ist, dass er ein guter Wissenschaftler war und einen Hype hatte. Das ist eine Seltenheit“, so Pasterski. Was sie damit meint, ist die Aufmerksamkeit, die die theoretische Physik so dringend nötig hat. Und die auch mit ihrem eigenen Werdegang einhergeht. Immer war sie die jüngere. Die Frau. Deshalb wurde sie 2016 von der Marie Claire mit dem „Young Women‘s Honors Award“ geehrt und landete zweimal auf der „Forbes 30 under 30“-Liste. „Ich denke, wenn mehr Frauen in diesem Bereich erfolgreich sind, werden mehr von uns in diesem Bereich tätig sein. Das wiederum beseitigt die unbewusste Voreingenommenheit, die daher rührt, dass alle Führungskräfte in diesem Bereich alte Männer waren.“
Gleichzeitig war es nicht einfach für Sabrina Gonzalez Pasterski, von den Medien als weibliche und junge Einstein gehandelt zu werden. „Ich wollte es nicht vermasseln und eine hervorragende Forscherin sein. Also habe ich viel zu viele Lehrbücher gelesen und versucht, überzeugend zu sein. Auf der Bühne spreche ich zu schnell und weiß nicht genug“, sagt sie. „Sobald der Hype da war, wollte ich mich anpassen. In einem Umfeld, in dem alle Presse gut ausfällt, ist es gefährlich. Obwohl ich ein sehr selbstbewusstes Kind war, habe ich ein bisschen das Selbstvertrauen verloren. Es gab viele Leute, denen es nicht gefiel, dass man diese Aufmerksamkeit bekam.“
Deshalb steht sie dem großen Physiker in ihrem eigenen Spiegelbild heute kritisch gegenüber. Sie ist dankbar für den ehrlichen Respekt, den Kolleg*innen ihr mittlerweile entgegenbringen. Den brauche sie, um die Dinge zu lernen, die sie wissen muss. Um ihre eigene Lehrerin zu werden. „Es gibt kein Mädchen oder keine Frau in unserem Bereich, die nicht genauso gut sein will wie die Jungs. Wir wollen exzellent sein.“ Auf Forschungsebene gäbe es nämlich nur zehn bis 15 Prozent von ihnen. Es fehlt an Sichtbarkeit. Und an Vorbildern. Selbst aus Sabrina Gonzalez Pasterski wurde von den Medien Einstein gemacht. Ein Mann. Schon wieder.
Frauen in der Wissenschaft: So kommen sie zu mehr Sichtbarkeit
„Wenn ein Mädchen ein anderes Mädchen in einem bestimmten Bereich sieht und in diesen Bereich gehen will, dann ist das toll. Dieser Hype und die Medien zur Förderung von Frauen in MINT-Fächern sind wertvoll“, sagt die 31-Jährige. „Andere Frauen werden deine Erfahrungen besser verstehen, als wenn du mit einer Gruppe von Männern sprichst. Sie hören dir nicht zu oder verstehen dich nicht.“
Der Grund für den Mangel an Frauen in der Wissenschaft liegt für Pasterski in der Sache mit dem Timing. Die ganz großen Durchbrüche in der Physik lagen Jahrzehnte vor ihrer Generation und kamen von den Männern, die man bis heute als die großen Physiker kennt. Es ist weit weg von ihrer Lebensrealität. „Die jüngere Generation sollte die Tatsache nicht akzeptieren, ihr Leben lang auf den Theorien aufzubauen, die ältere Mitarbeiter in den 80er Jahren entwickelt haben“, so Pasterski. Es liege jetzt an ihr – und den anderen Frauen in ihrem Bereich – Veränderung zu bewirken. „Man kann eine langweilige Sache in eine sehr interessante verwandeln, wenn man Gleichgesinnte hat – und ein bisschen freundschaftliche Konkurrenz.“ Deshalb sei es für sie so wichtig, Frauen zusammenzubringen, die sich unterhalten und austauschen können. „Man braucht diese Art von Mentorschaft. Und manchmal ist es einfacher, sie von jemandem zu bekommen, der die gleichen Erfahrungen gemacht hat.“ Kolleg*innen aus der Biologie etwa seien Vorbilder. In dem Bereich gäbe es bereits viele Frauen, sie machen also einiges richtig.
Das Wertvollste wäre, ein besseres Gefühl für die Daten von Frauen in unserem Teilbereich zu haben und wie ihre Karrierewege verlaufen.
Sabrina Gonzalez Pasterski
Auch sie möchte das für die Physik bewirken – etwa im Perimeter Institut, in dem sie schon Frauenbrunches und Workshops organisiert hat. „Das Wertvollste wäre, ein besseres Gefühl für die Daten von Frauen in unserem Teilbereich zu haben und wie ihre Karrierewege verlaufen“, sagt die junge Physikerin. Sie wolle nicht wegen ihres Geschlechts etwas bekommen. Aber auch die Voreingenommenheit dürfe sich langsam verabschieden. „Warum kann nicht ein Mädchen der nächste Einstein werden?“, haben die Medien damals gefragt. Und Sabrina Gonzalez Pasterski auserwählt. Dabei braucht es keinen zweiten. Keinen weiblichen. Sondern eine Frau, die mit ihrem Namen Geschichte schreibt.