Wir sind Programmierer und arbeiten dank Bahncard100 aus den Zügen der Bahn – dabei bereisen wir Deutschland

Lasse Stolley (l.) und Jan Grüner (r.) arbeiten als Programmierer zusammen an der Bahnapp – und treffen sich zum Coworking in den Zügen der Deutschen Bahn. - Copyright: Zug: picture alliance / Maximilian Koch | Maximilian Koch; Foto: Marlon Jungjohann für Business Insider; Collage: Lisa-Sophie Kempke und Can Yavuz für Business Insider.
Lasse Stolley (l.) und Jan Grüner (r.) arbeiten als Programmierer zusammen an der Bahnapp – und treffen sich zum Coworking in den Zügen der Deutschen Bahn. - Copyright: Zug: picture alliance / Maximilian Koch | Maximilian Koch; Foto: Marlon Jungjohann für Business Insider; Collage: Lisa-Sophie Kempke und Can Yavuz für Business Insider.

Wenn Jan Grüner und Lasse Stolley gemeinsam ihre App programmieren, dann rast ihr Office mit bis zu 330 Stundenkilometern durch ganz Deutschland. Auf gepolsterten Plätzen sitzen sie einander gegenüber, klappen ihre Notebooks auf dem Holztisch auf und manchmal schweift ihr Blick über die wechselnden Landschaften jenseits der Fensterscheibe. Wann immer sie können, richten die beiden Softwareentwickler hier ihren eigenen Coworking-Space ein – in den Zügen der Deutschen Bahn.

Ein festes Ziel haben sie an solchen Arbeitstagen nicht vor Augen: Jan und Lasse brainstormen zusammen im Zug. Das Ganze machen sie mehrmals im Monat, manchmal sogar in der Woche. „Es befreit den Kopf und hilft, nachzudenken, besonders wenn man bei einem Problem feststeckt“, sagt Jan. „Das Schöne ist: Es fühlt sich wie ein vollständiger Arbeitstag an – acht Stunden konzentriertes Arbeiten.“

Coworking im Zug: Jan und Lasse programmieren unterwegs eine App für das Bahnfahren

Der 44-Jährige Jan ist schon immer gerne Bahn gefahren, quasi als Hobby. Seit knapp vier Jahren besitzt der Berliner eine Bahncard 100 und ist der Kopf hinter der beliebten Bahnapp für Vielfahrende. Die hat er, angetrieben von seiner Leidenschaft für Züge, als eine Alternative zum DB Navigator entwickelt.

Lasses Passion für Züge geht einen Schritt weiter: Mit seiner Bahncard 100 lebt der 18-Jährige seit seinem Realschulabschluss vor zweieinhalb Jahren als digitaler Nomade in den Zügen der Deutschen Bahn. Morgens prüft er per App mögliche Bahnverbindungen und entscheidet abhängig von Wetter und Laune, an welchen Ort es ihn verschlägt. Abends sucht er sich einen Schlafplatz im Nachtzug. Inzwischen hat Lasse Tausende Kilometer im Zug zurückgelegt und rechnerisch mehr als zwölfmal die Welt umrundet. Seine ganze Geschichte lest ihr hier.

Der Kit, der Jans und Lasses Freundschaft zusammenhält, sind die Lust am Bahnfahren und die Leidenschaft fürs Programmieren. Jan hat Informatik studiert und entwickelt freiberuflich Apps, Lasse hat sich Code schreiben selbst beigebracht und arbeitet inzwischen für Jan. Kennengelernt haben sie sich über eine Supportanfrage, in der Lasse neue Features für die Bahnapp vorschlug. Inzwischen teilen sie eine Mission: Menschen mit der Bahnapp das Reisen erleichtern.

600.000 Menschen nutzen die Bahnapp

Über 600.000 Menschen nutzen die Anwendung für Android und IOS bereits. Ähnlich wie der DB Navigator, spielt sie ihren Nutzenden Fahrplan-Informationen sowie Echtzeit-Hinweise für Züge, Busse und Straßenbahnen aus. Tickets verkauft die Bahnapp nicht, wartet dafür aber mit Extra-Funktionen auf. Mit einem Klick können Userinnen und User, die ein Deutschlandticket besitzen, etwa Fern-Verbindungen mit Regionalzügen filtern.

Der ganze Stolz der Entwickler ist das Live-Tracking. Passagiere speichern dabei ihre Reiseverbindung in der App und erhalten einen persönlichen Link, den sie mit ihrer Familie oder Freundinnen und Freunden teilen. Diese können dann live den Verlauf der Bahnfahrt verfolgen – sogar ohne Internetverbindung der Userinnen und User im Zug.

Fährt Lasse Stolley nicht im Zug durch Deutschland, dann arbeitet er oftmals rund um die deutschen Bahnhöfe, wie hier in Frankfurt. - Copyright: Marvin Herzog
Fährt Lasse Stolley nicht im Zug durch Deutschland, dann arbeitet er oftmals rund um die deutschen Bahnhöfe, wie hier in Frankfurt. - Copyright: Marvin Herzog

„Ich habe die App ursprünglich nur für mich gebaut. Es war zunächst eine kleine Webseite, die ich aufgerufen habe, wenn ich Zug fahren wollte“, erinnert sich Jan. 2020 kaufte er eine Bahncard und entdeckte Züge als praktische Alternative zum Büro. „Das hat mein Leben verändert. Mit der Bahncard konnte ich immer irgendwo hinfahren und gleichzeitig arbeiten.“ Irgendwann fiel ihm auf: In manchen ICE-Modellen arbeitet er bequemer als in anderen.

„Ich brauchte ein Tool, mit dem ich meine Fahrten besser planen konnte. Es war etwa wichtig für mich, zu wissen, welche Zugtypen kommen.“ Also entwickelte Jan die Bahnapp und speist sie seither mit Daten aus verschiedenen öffentlich zugänglichen Quellen.

Arbeiten im Zug, Mittagspause bei Ikea

„Wir versuchen nicht, den DB Navigator zu ersetzen oder der Deutschen Bahn Konkurrenz zu machen“, sagt Lasse. „Unser Ziel ist es vielmehr, uns selbst und anderen, die ähnliche Bedürfnisse haben wie wir, Tipps und Softwarelösungen zur Verfügung zu stellen.“

Mit seinem Lifestyle auf Schienen profitiert er wie wohl kaum ein anderer so sehr von der Bahnapp. Sie ist sein täglicher Begleiter. „Mein Leben spielt sich grundsätzlich viel im Zug ab“, sagt der Zugnomade. Per Bahnapp sucht er die passenden Züge zum Arbeiten, Schlafen oder für gemeinsame Fahrten mit Freundinnen und Freunden heraus.

„In einem leeren Zug arbeitet es sich deutlich besser als in einem vollen Zug, unter anderem weil die Internetgeschwindigkeit in vollen Zügen schlechter ist. Wichtige Kriterien beim Arbeiten im Zug sind daher das Zugmodell, die Auslastung und die Strecke.“ All diese Infos liefert die Bahnapp Jan und Lasse, wenn sie sich wieder einmal für ein Meeting im ICE verabreden.

Eine typische Tagestour sieht für Jan und Lasse so aus: Früh am Morgen besteigen sie den ICE in Berlin, steuern eine beliebige Metropole an, legen dort eine Mittagspause ein und treten wieder den Rückweg an.

„Eine unserer häufigsten Strecken führt von Berlin über Hannover nach Hamburg-Altona“, erzählt Lasse. Dort legen sie zumeist eine Mittagspause im Ikea bei Köttbullar und Pommes ein. Dann fahren sie zurück nach Berlin. „Häufig machen wir auch eine Tour mit dem ICE 1 von Berlin nach Göttingen. Dort gehen wir in ein italienisches Restaurant, und etwa eine Stunde später nehmen wir den nächsten Zug zurück nach Berlin.“

Die Umstiege und Pausen strukturieren die Arbeitstage der App-Entwickler. „Im Zug muss ich im Schnitt alle zwei bis drei Stunden aussteigen – entweder, weil ich mein Ziel erreiche, der Zug endet oder voller wird“, sagt Jan. „Das Schöne daran ist, dass ich dann an einem ganz anderen Ort bin. Ich kann durch die Stadt laufen, einen Kaffee genießen oder – je nach Wetter – durch einen Park spazieren.“ Danach steigen sie in den nächsten Zug und beginnen, so der Informatiker, ihre nächste „Schicht“.