Wie Run-DMC 1986 mit "My Adidas" die Kooperation von Hip-Hop und Sneaker-Brands erfand
Heutzutage ist nichts so selbstverständlich wie die Zusammenarbeit zwischen Fashion Brands und Hip-Hop-Artists: Travis Scott und Nike, A$ap Rocky und Puma, Gucci Mane und Reebok und natürlich Kanye West und adidas (bevor er komplett durchgedreht ist). Von diesem Zusammenschluss scheinen stets beide Seiten zu profitieren, sonst gäbe es nicht so viele davon. Und die ersten, die eine solche Collab an den Start gebracht haben, waren Run-DMC. Und zwar im Jahr 1986.
Run-DMC und adidas starteten mit My Adidas die erste Kooperation von Hip-Hop und Sneaker-Brands
Um den Zusammenhang zu verstehen, der unbestritten zwischen Rapper*innen und Fashion Labels besteht, muss man an den Anfang der Hip-Hop-Kultur zurückgehen. Hip-Hop ist Ende der Siebzigerjahre in New York City entstanden – zu einer Zeit, als in der Stadt viel Armut geherrscht hat, insbesondere innerhalb der schwarzen Bevölkerung. Die Jugendlichen sehnten sich daher – logisch – nach all dem, was ihnen aufgrund ihrer Armut verwehrt bliebt – wie coole Klamotten zum Beispiel. Zwar gaben die ersten Rapper ihrer Zeit vorwiegend Partytexte zum Besten, doch es sollte nicht lange dauern, bis die ersten von ihnen anfingen, auch ihr Umfeld zu reflektieren und sich eine bessere Zukunft herbei zu rappen. In der spielten auch Statussymbole wie Mode eine Rolle. Die wichtigste Rolle beim Schulterschluss zwischen Hip-Hop und Fashion spielte – schlichtweg, weil sie damit die ersten waren – die Rap-Crew Run-DMC.
Run-DMC, bestehend aus den beiden Rappern Run und DMC sowie DJ Jam Master Jay, gründeten sich 1982 im New Yorker Stadtteil Queens und brachten 1983 bereits ihre erste Single raus: It’s Like That – ein Song, der 1997 durch den Remix von Jason Nevis noch mal einen zweiten Frühling erlebte und zum internationalen Hit wurde. Bereits an ihrem ersten Album Russell Simmons als Produzent beteiligt, der ältere Bruder von Run. Russell gründete dann ein Jahr später mit Rick Rubin das legendäre Label Def Jam und nahm dafür auch die Band seines Bruders, also Run-DMC, unter Vertrag.
Auch damals schon waren Sneaker für Jugendliche wichtig als Statussymbol, um sich abzugrenzen, um cool auszusehen. Auch der Superstar von adidas war ein bei Jugendlichen der Black Community begehrtes Modell, das seinerzeit häufig gänzlich ohne Schnürsenkel getragen wurde. Das war als eine Art Wink an US-amerikanische Gefängnissen zu verstehen, denn dort war logischerweise alles, was als Waffe oder Werkzeug dienen konnte, verboten, so auch Schnürsenkel. Die Insassen mussten daher häufig mit offenen Schuhen herumlaufen – und so trugen auch Run-DMC ihre Superstars ohne Laces.
Überhaupt präsentierte sich die Gruppe häufig in einem einheitlichen Style, sprich: mit Goldketten, Fedora-Hüte und Trainingsanzügen sowie Sneakern von adidas. Der deutsche Sportartikelhersteller spielte also bereits zu Beginn der Karriere von Run-DMC eine wichtige Rolle. Wohl auch deshalb fühlte sich die Rap-Crew beinahe persönlich angegriffen, als sie von einem Gedicht hörten, dass ein Arzt aus der Nachbarschaft geschrieben hatte. Besagter Arzt, Dr. Deas, arbeitete am Jamaica Hospital Medical Center in Queens und wurde durch seinen Job häufig Zeuge der auf den Straßen herrschenden Gewalt, weil er die Opfer stets wieder zusammenflicken musste. Als Reaktion darauf schrieb er ein Gedicht namens Felon Sneaker. Darin erzählte er von schwarzen Lee-Jeans, Cazal-Sonnenbrillen, dicken Ketten und Sneakern ohne Schnürsenkel. Die von ihm beschriebenen "Felon Sneaker" waren die Versinnbildlichung der ständigen Gewalt im Viertel. Aus besagtem Gedicht wurde schnell ein Rapsong.
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Run-DMC empfanden diese Verunglimpfung "ihrer" adidas Sneaker aber als Affront. Für sie waren die Schuhe kein Sinnbild für Gewalt und die Verrohung ihres Viertels, sondern eine Form des Ausdrucks ihrer Persönlichkeit und ein stylisches Fashion-Item. Als Replik auf Felon Sneaker schrieben sie daher ihre ganz persönliche Hymne auf ihren Lieblingsschuh – übrigens vollkommen ohne kommerzielle Hintergedanken und wohl auf Anregung von Russell Simmons, der ihnen vorschlug, einen Song darüber zu schreiben, wo sie mit ihren adidas schon überall waren ("Walk through concert doors/And roam all over coliseum floors/I stepped on stage/At Live Aid…"). Und so erschien der Song im Mai 1986 als erste Single ihres dritten Albums Raising Hell und stieß insbesondere in der aufkeimenden Hip-Hop-Community auf offene Ohren und zunehmend mehr Fans.
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Das Resultat war nicht nur, dass sich die Single gut verkaufte (Platz 5 in den "Hot R&B/Hip-Hop Songs"), auch adidas verzeichnete auf einmal zunehmende Verkäufe des Superstars und konnte sich das Phänomen anfangs nicht erklären – zumal damals vor allem Nike und Reebok den Markt regierten. Der damalige Marketing-Chef bei adidas war ein Typ namens Angelo Anastasio, der in Los Angeles residierte und sich ganz gut mit Pop und Rock auskannte, von Rap aber keinerlei Ahnung hatte. Eines Tages wurde er gefragt, ob er schon mal von der Rap-Gruppe Run-DMC gehört habe. Seine Antwort war nur: "Was zum Teufel ist Rap? Und wer zur Hölle Run-DMC?!" Als er den Song dann vorgespielt bekam, verstand er jedoch – und sah Potenzial darin. Weil wenig später ein Konzert von Run-DMC im New Yorker Madison Quare Garden stattfinden sollte, stieg er kurzerhand in den Flieger und machte sich auf in den Big Apple. Was er dort zu hören und sehen bekam, ließ ihm die Kinnlade runterklappen.
Als die Band ihre energetische Show spielte, bei der das Publikum ausrastete, war Anastasio bereits fasziniert. Doch dann setze die Band an, My Adidas zu performen. Im Zuge dessen forderte Rapper DMC das Publikum auf, für den Song ihre Turnschuhe auszuziehen und in die Höhe zu halten. Als daraufhin 20.000 Menschen begannen, zu den Klängen von My Adidas genau das zu tun (nicht alle Sneaker waren von adidas, aber hey), war Anastasio komplett aus dem Häuschen. Anastasio erzählte nach seiner Rückkehr sofort seinen Chefs davon, auch den Dassler-Bossen in Deutschland, und kurz darauf hatten Run-DMC den ersten hoch dotierten Sponsoring-Deal der Geschichte zwischen Hip-Hop-Künstler*innen und Sneaker-Brands klargemacht . Die Blaupause jeder weiteren Zusammenarbeit zwischen Rappern und Sneaker-Brands. Summe: eine Million US-Dollar.
Das Timing hätte für adidas auch kaum besser sein können, denn als nächste Single veröffentlichten Run-DMC den Song Walk This Way mit den Rockern von Aerosmith; ein Crossover-Song, der auch das weiße Publikum ansprach und zum weltweiten Hit wurde – und die in adidas gekleideten Run-DMC zu Popstars machte.
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Denn im Zuge des Deals wurden die Bandmitglieder natürlich mit allerhand Klamotten ausgestattet und bekamen mit dem adidas Ultrastar sogar einen eigenen Schuh. Dabei handelt es sich um die Run-DMC-Version des Superstars mit Gummizügen innen an der Zunge, damit der Schuh beim Laufen nicht zu sehr schlappt.
2001 hat adidas mit Adidas Originals sogar eine eigene Unternehmenssparte für das Retro-Geschäft ins Leben gerufen, denen andere Sneaker-Brands wie Puma oder New Balance später folgten – wenn auch nicht ganz so erfolgreich. Als der Superstar im Jahr 2020 sein 50-jähriges Bestehen feierte, kam der Run-DMC-Schuh noch mal als Neuauflage auf den Markt – und war beliebt wie eh und je.