10 Fakten: Nutrias als neue Delikatesse – was steckt dahinter?
Die aus Südamerika stammenden Nager mit dem Namen Nutria vermehren sich rasch, werden zu Zehntausenden geschossen und enden meist als Abfall. Nun bieten erste Metzger und Restaurants Nutriafleisch an. Das Ratten-Image ist aber ein Problem.
Nutrias sind bereits vor längerer Zeit aus Südamerika eingewandert. Das Nagetier wird auch Sumpfbiber oder häufiger "Biberratte" genannt. Für Expert*innen ist das der Hauptgrund, warum Verbraucher*innen erstmal auf Abstand gehen, wenn sie hören, dass das Fleisch zum Verzehr angeboten wird.
Dabei erklären Expert*innen, dass Nutrias gar nichts mit Ratten zu tun haben. Das Fleisch ist demnach ein hochwertiges, leicht verdauliches Lebensmittel – und sogar gut geeignet für die Diätküche.
Nutrias vermehren sich rasant in Deutschland, sind auf dem Teller aber noch selten. In Statistiken taucht Fleisch von Exoten wie Reptilien, Schlangen oder Kamelen laut Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie zumindest als Importware auf. Die Nager sind aber nirgends gelistet. Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert den Umgang mit den Tieren. Nachfolgend erhältst du die zehn wichtigsten Fakten zum Nagetier.
Woher Nutrias stammen
Hierzulande leben die sich planzlich ernährenden Nager an langsam fließenden Gewässern. Ursprünglich aber stammen sie aus Südamerika.
Die Nagetiere sind biologisch mit Meerschweinchen verwandt und wurden hierzulande einst wegen ihres Fells in Farmen gehalten. Fressfeinde hat die invasive Art kaum, der Klimawandel begünstigt ihre Ausbreitung laut Expert*innen zudem noch weiter.
Nutrias, obwohl sie in Südamerika als Nahrungsmittel anerkannt sind, begleitet in Deutschland ein Ratten-Image. In den Niederlanden sei das laut der Jägerin und Naturpädagogin Birgit Jansen schon anders: "Nutria hat gar nichts mit Ratte zu tun", erklärte sie Anfang des Jahres der deutschen Presse-Agentur (dpa). In unserem Nachbarland sage man "Waterkanin", also Wasserkaninchen. "Das trifft es besser und klingt doch gleich viel appetitlicher."
Nutrias als Delikatesse
In Südamerika gelten Nutrias schon seit mehreren hundert Jahren als anerkanntes Lebensmittel. In Deutschland haftet noch das Ratten-Image an.
Einige Küchen und Metzger*innen aber bieten das Fleisch bereits an. Zunächst muss das Fleisch vom Fell befreit und zerlegt werden.
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In der Berliner Restaurantküche des Strümper Hofs werden Nutrias in Kochkursen bereits angeboten, dabei werden Teile etwa durch den Fleischwolf gedreht – für Frikadellen mit Thymian und Johannisbeergelee. Die einen marinieren, die anderen braten oder rühren das Fleisch in Kesselgulasch.
Wie gesund ist das Fleisch?
Nutriafleisch ist ein mineralreiches, hochwertiges Lebensmittel mit wenig und leicht verdaulichem Fett, praktisch cholesterinfrei und auch gut geeignet für die Diätküche, das erklärte ein Koch des Strümper Hofs der dpa.
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Ernährungswissenschaftlerin Nina Dohmen erklärt: "Die Tiere einfach wegzuwerfen, tut mir im Herzen weh. Das Fleisch ist zart und hat ein sehr gutes Fettsäuremuster." Jeden, der offen ist für Neues und der sich im Sinne der Nachhaltigkeit ernähren will, könne man daher mit diesem Fleisch locken.
Biologe Klaus van der Weyer sagt: "Für mich als Verbraucher ist es wichtig, wo die Tiere, die ich esse, gelebt haben und was die fressen." Die Nager ernähren sich pflanzlich und leben an langsam fließenden Gewässern in der freien Natur, erfüllen dadurch gewisse Standards für gutes Fleisch.
Nutrias sorgen in Deutschland für Probleme
Laut Jagdverband bereiten die Nager Probleme für den Deich- und den Artenschutz. Demnach gefährden ihre Höhlensysteme die Stabilität von Deichen und Dämmen.
Die Nager ernähren sich pflanzlich und ihr Appetit auf Grünzeug ist so gewaltig, dass es dadurch anderen Arten wie bestimmten Vögeln an Lebensraum fehle. Auch Fischbestände leiden laut dem Verband unter den Nagern.
Laut der dpa wurden zuletzt während einer Jagdsaison 101.000 Tiere erlegt. Ein Rekord.
Nutrias jagen – gut oder schlecht?
Die Tiere höhlen laut Expert*innen Deiche, Gräben und landwirtschaftliche Flächen aus. Da sie aus Südamerika stammen, hierzulande keine natürlichen Feinde haben und Ende 2020 die Schwanzprämie beispielsweise in Hamburg abgeschafft wurde, ist ihre Population in den vergangenen Jahren stark angewachsen.
Mittlerweile sei die Lage dramatisch, betonten Vertreter*innen von Jägerschaft, Landwirtschaft, Ent- und Bewässerungsverband und auch Lokalpolitik gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Nutrias dürfen in Deutschland entsprechend dort gejagt werden, wo sie Schäden verursachen. In manchen Regionen gibt es Abschussprämien.
So geschieht es beispielsweie in Bergedorf in der Nähe von Hamburg. Die dortige Umweltbehörde hat laut Abendblatt Mitte Juni bereits 30.000 Euro als Schwanzprämie zur Jagd auf die invasiven Nager zur Verfügung gestellt.
Zunächst mussten laut dem Medium aber noch einige rechtliche Rahmenbedingungen geklärt werden.
Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert Jagdauftrag
Peta kritisiert zum einen, dass Nutrias nicht im Bundesjagdgesetz aufgeführt sind. Mit Ausnahmegenehmigungen sei die Jagd auf die Nagetiere aber erlaubt.
In Europa, so Peta, sei jedoch die intensive Land- und Forstwirtschaft der Hauptgrund für das Aussterben der meisten Tier- und Pflanzenarten. Dadurch, dass Nutrias als Neozoen auf die Unionsliste "invasiver" Arten gesetzt wurden, erwarte sie zu Unrecht eine systematische Verfolgung mit dem Ziel, sie zu töten.
Die Erwähnung der Nutria auf der Unionsliste verleite demnach viele auf Regionalebene politische Entscheidungstragende, Behördenvertretungen und Medien zu der falschen Annahme, dass die Nennung ein Jagdauftrag sei. Peta betont, dass die Maßnahmen gewaltfreie Methoden umfassen könnten, etwa Fütterungsverbote oder tierfreundliche Vergrämungen.
Die Historie des Fleischs in der DDR
In der DDR ist Nutriafleisch im Supermarkt zu kaufen gewesen, berichtete Jäger Jürgen Jansen der dpa. Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete 2015 in einem Artikel, dass Nutrias dort gegessen wurden.
Nutria mit Pellkartoffeln war demnach nicht nur in den Gefängnissen der Deutschen Demokratischen Republik ein "gern kredenztes Mal".
Der Nutria-Bestand in der DDR ist laut dem Text Mitte der Sechzigerjahre mit rund 150.000 erfassten Tieren beachtlich gewesen. Hoch im Kurs stand demnach vor allem deren Fell, für das bekamen Züchter bis zu 115 Ostmark.
Es sei ein volkswirtschaftlich nützliches Hobby gewesen. Der Preis für Nutriafell fiel nach der Wende ins Bodenlose.
Das Fleisch wird noch oft weggeworfen
Das Fleisch der geschossenen Nutrias wird häufig weggeworfen oder dient als Köder für die Fuchsjagd. Das gilt vor allem für Deutschland.
In der Bildergalerie: Waschen oder nicht? Das müssen Sie bei rohem Fleisch beachten
Wer Nutriafleisch in den Verkehr bringen will, muss laut dpa Auflagen beachten. Wann und wie welches Wildbret vermarktet werden darf, unterliegt Regeln, die Bestandteil der Jagdausbildung sind. Man muss eine sachkundige Person sein, was seit einigen Jahren gleich mit dem Jagdschein nachgewiesen wird.
Es gibt zudem Nationale Vorgaben und EU-Vorschriften zur Lebensmittelhygiene.
Wo das Fleisch schon angeboten wird
Neben der Berliner Restaurantküche des Strümper Hofs bietet auch das Berliner Restaurant Holycrab, das auf invasive Delikatessen spezialisiert ist, Nutrias an. Das Restaurant hat laut eigener Aussage auch schon mal Nutria-Tacos mit Kürbis aufgetischt.
In Essen verkauft Jäger Jürgen Bickert Nutria-Wurst, Dosen-Ragout oder auch Keule und Nacken fürs Barbecue in seiner Metzgerei, berichtet die dpa. "Für mich ist der Gedanke, ein Tier zu jagen und dann wegzuwerfen, unerträglich und unethisch." Das Fleisch, das er veräußert, stamme auch von Tieren, die er selbst erlegt.
Er hofft laut dem Bericht, dass weitere Metzgereien folgen, und berichtet von wachsender Neugier: "Gerade junge Leute kommen und fragen mich: Kann man das essen?" Er sehe Potenzial für Nutria. "Es mag Verbraucher erst mal etwas Überwindung kosten, aber es ist eine Delikatesse aus der Natur." Aufklärung sei wichtig.
Wie das Fleisch schmeckt und was es kostet
Das Tier ist mit seinen langen gelben Zähnen keine Schönheit. Aber eine Kochkursteilnehmerin in Berlin sagte der dpa nach dem Verzehr: "Es schmeckt einfach nur lecker." Zu Beginn des Kurses habe sie sich noch etwas gegruselt: "Man muss schon den Kopf ausschalten." Das Fleisch schmecke aber ganz mild. Ein bisschen wie Kaninchen oder Geflügel.
Im Internet kursiert das ein oder andere Angebot zu horrenden Preisen von rund 50 Euro pro Kilo. Im Strümper Hof gibt es das Fleisch für 10 Euro pro Kilogramm von der Theke, und Koch Siemes serviert Nutria auch im Restaurant – auf Vorbestellung.
VIDEO: Was unterscheidet die Nutria vom Biber?