Big is beautiful: Nigeria - Land der Kontraste

Nigeria’s Next Topmodel: Auch hier orientieren sich junge Frauen in Sachen Schönheit an Model-Vorbidern. Foto: NNTM

Von Ljuba Naminova

Nigeria ist in westlichen Medien bekannt für Boko Haram, die islamistische Terrorgruppe, die Teile des Nordens des Landes beherrscht und vor einigen Jahren 300 Schülerinnen entführte. Doch im größten Teil des Landes spürt man vom Terror wenig, das Leben in Nigeria pulsiert weiter, allen voran in der Millionen-Metropole Lagos. Die Nigerianerinnen sind selbstbewusst und lassen sich von den Islamisten nicht verbieten, gut auszusehen.

Beauty-Industrie boomt

Nigeria ist das größte Land Westafrikas. Mit knapp 173 Millionen Einwohnern ist es außerdem das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft des Kontinents. Und Frauen dort wollen um jeden Preis schön sein. „Jeder hat begonnen, Nigerias Potential zu erkennen“ sagt Sekou Coulibaly, General Manager für L’Oréal im Interview mit einem Beauty-Portal.

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Der Einfluss im Land sei unterschiedlich, erzählt er. „Im Norden ist die Bevölkerung muslimisch geprägt, die Muslima ist daher eher an Kosmetikprodukten für die Augen und Nägel interessiert. Die urbane Nigerianerin aber will wissen, was in New York, London und Paris angesagt ist, aber auch nigerianische Einflüsse bewahren.“ Lokale Designer stellen sich bei der jährlichen Lagos Fashion & Design Week vor und in Nollywood, dem nigerianischen Film-Business, das sich namentlich an Hollywood anlehnt.

Schönheit und Intelligenz – in Nigeria vereinbar

Schön und intelligent: Chimamanda Ngozi Adichie ist eine feministische Schriftstellerin aus Nigeria. Foto: Wikipedia

Chimamanda Ngozi Adichie ist die bekannteste Schriftstellerin Nigerias und besucht auch gerne Mal Fashion-Shows. Dass Intelligenz und Schönheit unvereinbar sein sollen, hat sie nie verstanden. Der New York Times erzählte sie: „Vielleicht gelten in den USA andere Standards für besonders intellektuelle oder kreative Leute. Als ich dort hin zog, durfte man nicht wie eine Person aussehen, die gerne in den Spiegel schaut, wenn man wie eine ernstzunehmende Schriftstellerin aussehen wollte. Besonders für ernste Autorinnen war es besser, sich nicht gut anzuziehen. Wenn man anfing von Mode zu sprechen, musste man sich entweder dafür entschuldigen oder abwertend klingen.“

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Heute ist die 39-Jährige, die sich selbst als Feministin bezeichnet, das Werbegesicht für die Kosmetikmarke No7 der britischen Drogerie-Kette Boots. Damit wollte sie zeigen, dass man als Frau schön und intelligent zugleich sein kann. Ngozi Adichie habe beobachtet, dass Frauen in Nigeria, den USA, Großbritannien und Westeuropa nach ihrem Äußeren beurteilt werden. Aber allein in ihrem Heimatland würden sie nicht dafür kritisiert, wenn es ihnen wichtig sei, wie sie aussehen.



Pinke Lippen – für die ewigkeit: der neue Trend geht weg vom Lippenstift hin zu OPs. Pink ist chic. Für Frauen und immer mehr Männer. Foto: Youtube

Pinke Lippen für die Jungs

Chimamanda Ngozi Adichie liebe eben Lipgloss, und was sei so verkehrt daran, ab und zu welchen zu benutzen? Aber was machen eigentlich die nigerianischen Männer, um dem weiblichen Geschlecht zu gefallen? Einige von ihnen stehen auch auf pinke Lippen. „Pink Lips“ ist der neueste Schrei unter hippen Großstadt-Jungs. Bei diesem Trend wird die Unterlippe permanent kaugummipink tättowiert, damit sie heller und damit europäischer wirkt. Manche jungen Männer gehen so weit zu behaupten, dass Frauen Angst vor einer zu dunklen Unterlippe hätten. Das Tattoo soll ein Leben lang halten. Ob ein pinker Lippenstift da nicht unkomplizierter wäre?

Drall und prall: Bei Männern begehrt

In Großstädten wie Lagos eifern junge Frauen Schönheitssymbolen aus dem Westen nach. Traditionell gesehen aber gilt eine Frau dann als schön, wenn sie etwas mehr Fleisch beziehungsweise Fett auf den Rippen vorweisen kann. Westlicher Magerkeitswahn hin oder her, viele Männer in Nigeria bevorzugen nach wie vor üppige Damen.

In der nigerianischen Stadt Calabar im Süden des Landes gehen einige Familien aus dem Volk der Efik gar so weit, dass junge Bräute vor der Hochzeit auf einer Art Farm gemästet werden. Diese Prozedur dauert zwischen sechs Wochen und sechs Monaten. Bei diesem Brauch, Mbodi genannt, müssen die Frauen so viel wie möglich essen und sich so wenig wie möglich bewegen. Nach den Mahlzeiten werden sie zum Schlafen gezwungen. Die Nahrung besteht aus lokalen Delikatessen wie „Garri“, einem Maniokbrei, der mit viel Wasser angemischt wird und „Ekpankuko“, einer Mischung aus unreifen Platanen, Gemüse, Fisch und Öl. Dick zu sein bedeutet für das Volk der Efik, gesund zu sein. Dass das Übergewicht für die junge Braut oft auch Gesundheitsrisiken birgt, wird ignoriert. Die Brauteltern und der Bräutigam, beide interessiert an einer wohlgenährten Braut, teilen sich die Kosten für die Prozedur.

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Die Braut lebt in dieser Zeit sozial isoliert. Sie wird regelmäßig von einer älteren Matrone mit Palmöl und Kreide massiert. Und sie muss die Prüfung der Jungfräulichkeit bestehen. Während dieser Zeit wird ihr beigebracht einen Haushalt zu führen, zu kochen und ihrem zukünftigen Mann Lust zu schenken.

Extensions statt Echthaar



Stark, schön, unabhängig: Nigerianische Frauen haben unter dem schönen Kunsthaar Köpfchen. Foto: NNTM

Bei ihrem Haar verstehen nigerianische Frauen keinen Spaß. Jedes Jahr importiert Nigeria tonnenweise Echthaar aus Indien, China und Brasilien. Wer es sich leisten kann, besorgt es sich auf dem Markt oder im Geschäft, und wer nicht, spart zumindest nicht an Kunsthaar. Haare sind nicht nur in Nigeria, sondern in ganz Afrika ein Riesengeschäft. Wie wichtig Schönheit ist, davon kann Stephanie Okwu ein Lied singen. Sie wurde 2013 zur Miss Nigeria gewählt. In einer Fernseh-Reportage sagte sie: „Wenn du schön bist, ist es ein Türöffner in Nigeria. Du bekommst Anerkennung, wirst wahrgenommen. Schönheit ist hier notwendig, sie ist wichtig.“ Sie selbst gehe zwei bis drei Mal im Monat zum Friseur um ihren Look zu verändern. Dabei werden ihre Naturhaare zu „Corn-Rows“ – engen Zöpfen entlang der Kopfhaut – geflochten. Mit Nadel und Faden werden dann die Echthaarteile an den Zöpfen befestigt. Ein Verfahren, das mehrere Stunden dauert und für nigerianische Verhältnisse alles andere als günstig ist, umgerechnet rund fünfzig Euro.

Zwar frönen manche Nigerianerinnen dem Natural Hair Look, doch die Mehrheit der Frauen bevorzugt Haarteile. Als Genevieve Nnaji, eine der bekanntesten Schauspielerinnen Nollywoods, einmal wegen ihrer Naturlocken einen bemitleidenswerten Blick erntete, der in der Frage ob sie pleite sei endete, entschloss sie sich, das Haus nie wieder „au naturel“ zu verlassen.