Dick ist schick: In Mauretanien werden junge Mädchen für die Ehe fett gemacht
Auch TV-Star Tine Wittler reiste schon nach Mauretanien, um mehr über das Schönheitsideal der Frauen zu erfahren. Foto: www.tinewittler.de
Bis zu 16.000 Kalorien täglich konsumieren mauretanische Mädchen in sogenannten Masthäusern. Der Grund: Je runder sie sind, desto früher kriegen sie einen Ehemann ab.
Supermodels mit Wespentaille, Oberschenkellücke und Size-Zero-Jeans - die Schönheitsindustrie des Westens diktiert: je dünner desto besser. Doch was in Europa schon seit Jahren als Beauty-Standard gilt, ringt den mauretanischen Frauen nur ein müdes Lächeln ab.
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Mauretanien ist ein armes Land. Der an Mali und den Senegal angrenzende Staat ist etwa dreimal so groß wie Deutschland und besteht fast ausschließlich aus Wüste. In den ländlichen Gegenden Mauretaniens gilt: Dick ist schick. Wer etwas auf sich hält, schickt seine Töchter während der Schulferien auf spezielle Fütterungsfarmen, wo die jungen Mädchen gestopft werden wie Frankreichs berühmte Foie gras-Gänse. Im wahrsten Sinne des Wortes: Der Name der Praxis – gavage – ist auf eben dieses Stopfen zurückzuführen. Bis zu 16.000 Kalorien werden den Mädchen täglich zugeführt. Im Vergleich: Der durchschnittliche Kalorienbedarf einer Frau in Deutschland beläuft sich auf rund 2000 Kalorien.
Die Mädchen trinken bis zu 20 Liter fette Kamelmilch am Tag
Zum Frühstück von Olivenöl durchtränktes Brot, kiloweise Hirsebrei, Datteln, Ziegenfleisch und an die 20 Liter Kamelmilch – pro Tag, wohlgemerkt. Dabei wird die Zunge oft mit einem Stäbchen heruntergedrückt, denn so viel kann beim besten Willen keiner essen. Die Zwangsmästung beginnt, wenn die Mädchen zwischen sechs und acht Jahre alt sind. Das macht Mauretanien zu einem der wenigen afrikanischen Länder, in dem weibliche Kinder im Durchschnitt mehr Nahrung bekommen als ihre männlichen Altersgenossen.
Sand so weit das Auge reicht - der Großteil Mauretaniens besteht aus Wüste. Foto: Hermes Images/AGF/UIG via Getty Images
Je mehr Masse eine Frau besitzt, sagte man schon bei den Mauren, desto mehr Platz füllt sie im Herzen ihres Mannes aus. Und genau wie fettes Vieh waren auch füllige Frauen bei den Nomadenvölkern ein Zeichen von Wohlstand. Wer seine Auserkorene trotz der immer wiederkehrenden Dürreperioden und Hungersnöte wohl nähren konnte, der musste wahrlich ein großer Mann sein. Je reicher der Herr im Haus, desto weniger musste seine Frau sich rühren. Wenn möglich, saß sie den ganzen Tag im Lotussitz auf einem hübschen Kissen und gab ihren Sklaven Anweisungen.
Dehnungsstreifen – die schönsten Juwelen der mauretanischen Frauen
Die Praxis ist auf das elfte Jahrhundert zurückzuführen, aber noch heute gelten Dehnungsstreifen in vielen Gegenden als die schönsten Juwelen mauretanischer Frauen. Ja, über die Rettungsringe der drallen Damen wurden sogar Gedichte verfasst.
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Seit Jahren warnen Ärzte in der Hauptstadt Nouakchott vor der gefährlichen Verfettung. Die Weltgesundheitsorganisation warnte vor einigen Jahren, dass 21,7 Prozent der mauretanischen Frauen als übergewichtig gelten, aber nur 3,7 Prozent der Männer. Die überschüssigen Kilos können zu Diabetes führen, zu Bluthochdruck, Depressionen oder Herzkrankheiten.
Eine Zeit lang sah es so aus, als gehöre das Zwangsmästen der Vergangenheit an. Es gab medizinische Aufklärungskampagnen, Plakat-Werbung die vor Völlerei warnte und sogar ein Ministerium für Frauen, mit 20 Prozent der Sitze im Parlament. Dann kam 2008 der Militärputsch. Die Militärregierung drängte auf die Rückkehr zu traditionellen Werten – und zu denen gehörten eben auch die erhöhten Cholesterinwerte junger Mädchen.
„Get fat – get wed“ – dicke Mädchen werden schneller verheiratet
Das Mästen steht auch in Zusammenhang mit einer anderen Tradition: Kinderehen. Eine möglichst frühe Eheschließung ist in dem westafrikanischen Staat noch immer an der Tagesordnung. So manch mauretanisches Mädchen wird schon weit vor dem 18. Lebensjahr von ihrer Familie verheiratet. In einem Alter, in dem sie weder fruchtbar noch reif für die Ehe ist – aber der wuchtige Körperumfang soll das Gegenteil suggerieren. Je dicker die Mädchen sind, desto früher kann man sie verheiraten. Die Masthäuser gleichen daher einem Bootcamp der Adipösen.
Junge Mädchen in den Städten eifern lieber Beyoncé nach. Foto: Laura Cavanaugh/Getty Images
Die professionellen Fettmacherinnen – gaveuse genannt – wenden schmerzhafte Methoden an, um die Mädchen zum Essen zu bringen. Sie quetschen ihnen die Zehen mit Hölzern oder bohren ihnen mit spitzen Stöckchen ins Zahnfleisch. Verweigerer, erzählt eine der Mästerinnen im Interview mit Marie Claire, würden von ihr erniedrigt und von der Gruppe isoliert. Dann trichtere sie ihnen ein, dass dünne Frauen minderwertig seien.
Moderne Frauen setzen auf Appetitanreger oder Steroide
Eine der Mast-Matronen beschreibt das mauretanische Schönheitsideal so: „Das Bauchfett sollte einem stufenförmigen Wasserfall gleichen, die Oberschenkel überlappen und der Hals in mehreren dicken Lagen Speck liegen.“ Schaffe sie es dann auch noch, dass die Mädchen silbrig glänzende Dehnungsstreifen entwickeln, dann würden ihr die Eltern sogar einen Bonus bezahlen. Denn das mögen die Männer: Ein Mädchen mit Dehnungsstreifen findet besonders schnell einen Bräutigam.
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Doch auch traditionelle Trends entwickeln sich weiter: Viele Frauen schwören heute auf Vitaminpillen, die angeblich den Appetit anregen sollen. Einige setzen sogar auf Steroide oder Mittel aus der Viehzucht, um künstlich an Körperumfang zu gewinnen. Die teilweise lebensgefährlichen Nebenwirkungen der Dickmacher nehmen sie in Kauf – für die Schönheit.
Der Hauptstadttrend geht weg vom Fett
Wie so oft geht es in der Hauptstadt anders zu. Zwar gibt es nur wenige Modemagazine in Mauretanien, aber durch das Internet sind die westlichen Schönheitsideale inzwischen auch südlich der Sahara angelangt. Moderne mauretanische Teenager ziehen einen Beyoncé-Look vor. Fitness-Studios werden immer beliebter und statt fetter Kamelmilch trinkt man hier Schlankheitselixiere. Verrückte Welt. Ob nun Schlankheitswahn oder Zwangsmästen: Wieder einmal sind es die Frauen, die sich dem Schönheitskult beugen und einmal mehr zeigt sich: Schönheit ist absolut willkürlich und liegt im Auge des Betrachters.
Tine Wittler musste nach drei Litern Kamelmilch kapitulieren. Foto: www.tinewittler.de
Übrigens reiste auch TV-Star Tine Wittler für ihr Buch Wer schön sein will, muss reisen nach Mauretanien und suchte eine der traditionellen Mästerinnen auf. Ihr Fazit: Sie schaffte lediglich drei Liter Kamelmilch – keine zwanzig. Dafür bekam sie jede Menge Heiratsanträge.
(AH)