Experten( )Wissen: Was bewirkt die Bewegung der Skin Positivity?
Dermatologin Prof. Dr. Eva Peters im exklusiven Interview
Dem Begriff Body Positivity nach ist jeder Körper genau so schön, wie er ist. Im vergangenen Jahr kam mit Skin Neutrality beziehungsweise Skin Positivity ein neuer Trend auf, der sich explizit auf die Haut konzentriert. Und auch hier ist die Message: Pickel, Hautunreinheiten oder auch Hautkrankheiten wie Akne sind nichts, für das man sich schämen oder dass man unbedingt unter Make-up verstecken müsste. Im Interview mit Yahoo Life erklärt die Dermatologin Prof. Dr. Eva Peters, mit welchen Problemen Patient*innen zu ihr kommen und wie sich die eigene Wahrnehmung verbessern lässt.
Yahoo Life: Warum empfinden manche Menschen, die objektiv eine normale Haut haben, diese als hässlich?
Prof. Dr. Eva Peters: Eine objektiv normale Haut gibt es ja eigentlich nicht. Was wir als normal bewerten, ist in der Regel das, was die meisten haben oder was einem Idealbild einigermaßen angeglichen werden kann. Jemand, der seine oder ihre Haut nicht als normal erlebt, ordnet sein Aussehen anders ein. Dafür kann es viele Gründe geben. Zum Beispiel können vergangene Erfahrungen etwas damit zu tun haben, ob wir erwarten, von anderen akzeptiert zu werden, wie stark wir uns selbst akzeptieren können und wie stark wir versuchen, einem Normbild zu entsprechen. Wenn die eigene Vorstellung davon, wie man aussehen sollte, mit der Realität im Kontrast steht, wird es oft schwierig.
Experten( )Wissen: 5 Dinge, die ich meiner Haut nicht antun würde
Probleme mit Störungen des Hautbildes, für in der Dermatologie keine Diagnose vergeben werden würde, gelten häufig als "Einbildung". Und genau da sind wir bei der psychosomatischen Dermatologie. Ich sage mal ganz salopp: Nur psychisch und eingebildet gibt es nicht. Derjenige, der an etwas leidet, mit dem er sich aus der Norm herausgefallen fühlt, leidet schwer. Es gibt Krankheitsbilder, bei denen Störungen an der Haut, die allgemein als normal eingestuft werden, als besonders störend wahrgenommen werden.
Man spricht im Extremfall von körperdysmorpher Störung. Diese Diskrepanz zwischen Wunschkörperbild und realem Körperbild gibt es auch bei vielen anderen Krankheiten, der Magersucht zum Beispiel. Auch die Magersucht ist eine körperdysmorphe Störung. Das heißt, das Bild, das ich von meinem Körper im Kopf habe, ist mit der Realität nicht im Einklang.
YL: Ist dieses Empfinden völlig unabhängig davon, wie die Haut tatsächlich aussieht?
EP: Es kann völlig unabhängig davon sein und für die Betrachter nicht nachvollziehbar. Wir sehen in den letzten Jahren, dass die Anzahl der Patient*innen mit körperdysmorpher Störung zunimmt. Es trifft häufig junge Frauen. Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass in der öffentlichen Wahrnehmung das Aussehen und die Makellosigkeit von Haut immer stärker betont wird, was immer mehr Menschen in Kontrast zu ihrem Wunschbild bringt. In der Regel hat die körperdysmorphe Störung aber ganz andere Ursachen als tatsächlich die Haut. Die Haut ist gewissermaßen der Schauplatz, an dem sich festmacht, wenn man zum Beispiel in der frühen Kindheit wenig Anerkennung erlebt hat.
YL: Was hat der Anstieg der Fallzahlen mit den Sozialen Medien und scheinbar makellosen Bildern zu tun, die dadurch allgegenwärtig sind?
EP: Dazu gibt es keine Studien. Aber es fällt auf, dass der Anstieg dieser Diagnose zeitgleich mit der großen Prominenz der Sozialen Medien auftritt. Die Adoleszenz ist eine vulnerable Entwicklungsphase, in der wir aus der Kindheit heraustreten und in das öffentliche Leben hinein, in der wir ein Bild von uns in der Welt entwickeln und eine Identität in der Gesellschaft finden. Gleichzeitig wird auch die Haut umgebaut und den Erfordernissen des Erwachsenenlebens angepasst, wodurch Veränderung spürbar und sichtbar ist. Vielleicht ist gerade die Haut deshalb auch eins der Organe, an denen sich Störungen besonders ausgeprägt abspielen.
YL: Wie wirkt sich der Trend der Skin Positivity als Zustand, den man sich für die Patient*innen wünscht, denn aus?
EP: In der Medizin oder Psychotherapie spielt dieser Begriff keine Rolle. Wenn Sie so wollen, ist das eine öffentliche hypnotherapeutische Intervention, weil es sich um eine Suggestion handelt. Indem positive Begriffe verwendet werden für einen Zustand, der gesellschaftlich als negativ eingestuft wird, wird versucht, dem Phänomen eine andere Bedeutung zu geben.
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Insofern ist es ein interessanter Versuch, betroffenen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich anders zu identifizieren. Es fehlt jedoch ein therapeutischer Kontext, der nach den Gründen für die Störung sucht und hilft, sie langfristig zu ändern. Eine solche Suggestion kann in ihrer Wirkung auch einmal ein Stück weit nach hinten losgehen. Sie richtet zum Beispiel die Aufmerksamkeit noch einmal mehr auf das Thema Haut und betont so die Wichtigkeit ihres Aussehens.
YL: Sie behandeln auch Menschen mit Krankheitsbildern wie schwerer Akne oder Schuppenflechte. Worauf kommt es dabei an?
EP: Es gibt eine Wechselbeziehung zwischen Erkrankung und psychosozialer Belastung. Wir wissen, dass Stress dazu führt, dass unser Immunsystem nicht optimal funktioniert, und das hat natürlich auch Folgen für Entzündungen, gerade in der Haut. Die Hauterkrankung macht also Stress und der Stress macht die Hauterkrankung. Es ist immer hilfreich, diese Wechselbeziehung herauszuarbeiten und in der Therapie zu adressieren, wenn man mit dem Stress und der Verarbeitung der Erkrankung besser zurechtkommen möchte.
Interessant ist übrigens, wenn man Menschen, die keine Hauterkrankung haben, "eklige" Hautbilder zeigt und die Reaktion des Gehirns darauf in einem Scanner vergleicht mit der von Menschen, die eine Schuppenflechte haben. Dabei zeigt sich, dass die Schuppenflechtenpatienten viel weniger Ekel dabei empfinden. Unsere Einschätzung, dass jemand mit einer Hauterkrankung ein Problem damit hat, ist oft also gar nicht zutreffend. Sie haben Möglichkeiten gefunden, mit dem Problem zu leben, ihre Umgebung aber häufig nicht.
YL: Wie sieht denn die Therapie aus?
EP: Es gibt in Deutschland drei Therapieverfahren, die von den Kassen bezahlt werden und alle helfen können. Das eine ist die Verhaltenstherapie. Das andere sind die sogenannten psychodynamischen Therapieverfahren, zu denen die Tiefenpsychologie und Psychoanalyse zählen. Und das dritte ist die systemische Therapie, die jetzt neu dazugekommen ist. Dies Therapierichtungen haben ganz unterschiedliche Ansätze, die für unterschiedliche Patient*innen und Erkrankungen wirksam sein können. In der Anamnese vor Beginn einer Therapie gilt es zunächst einmal, herauszufinden, wo das Problem eigentlich liegt und dann den passenden Ansatz mit den Betroffenen abzustimmen.
YL: Würden Sie zum Beispiel empfehlen, einfach einmal ein ungeschminktes Foto von sich zu posten?
EP: Nein, ich würde meinen Patient*innen keine Empfehlungen für konkrete Handlungen geben. Die Arbeit mit den Patienten zielt darauf ab, ihre Ressourcen und ihren Selbstwert zu stärken und in einem sicheren und geschützten Rahmen die Themen anzugehen, die die Störung aufrechterhalten. Eine solche Empfehlung wäre eine direktive Intervention, die nach hinten losgehen kann. Vielleicht wären 80 Prozent der Kommentare positiv, aber ein paar Menschen nutzen die Gelegenheit, um Negatives zu antworten. Wenn sie aber ohnehin schon nicht gut mit negativen Spiegelungen umgehen können, würde das das Problem eher verschärfen.
Kurzvita: Prof. Dr. med Eva Peters
Prof. Dr. med Eva Peters ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Fachärztin für Dermatologie und Psychoonkologin. An der Uniklinik Gießen leitet sie das Labor für Psychoneuroimmunologie. Zudem ist Prof. Peters die Vorsitzende des Arbeitskreis Psychosomatische Dermatologie (AkPsychDerm) als Sektion der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e.V.
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