Geld, Energie, Zeit, Macht: So viel kostet es, eine Frau zu sein
Das Taxi, das wir rufen, um nicht alleine in der Dunkelheit von der Party nach Hause laufen zu müssen. Das Pfefferspray, das wir in der Hoffnung kaufen, dass wir es nie benutzen müssen. Der Selbstverteidigungskurs. Die K.o.-Tropfen-Teststreifen. All das kostet uns Geld. Geld, das wir gerne zahlen, wenn wir dafür körperlich unversehrt bleiben. Denn als Frauen haben wir gelernt, dass es in unserer Verantwortung liegt, nicht sexuell belästigt, angegriffen und vergewaltigt zu werden.
Aber Geld ist nicht das Einzige, was es uns kostet, als Frau im Patriarchat unversehrt zu bleiben. Zum Beispiel kostet es auch Zeit, sich Strategien anzueignen, um keine „leichte Beute“ zu sein. Es kostet uns unglaublich viel Aufmerksamkeit und Konzentration, ständig auf der Hut zu sein und uns einen Exit-Plan zu überlegen, wenn uns beim Abendspaziergang ein Mann ohne Hund entgegenkommt oder ein Unbekannter im Fahrstuhl gegenübersteht.
Was uns ein weiblicher Körper kostet
Trotz all des Aufwands können wir nicht verhindern, dass uns Gewalt angetan wird. Auch dann, sind es meist nicht die Täter, die den Preis zahlen, sondern die betroffenen Frauen. Der Preis ist die mentale Gesundheit: Depressionen, Angstzustände und posttraumatischen Belastungsstörungen, die uns berufsunfähig machen und viele teure Therapiestunden erfordern. Schuldgefühle, weil die Gesellschaft uns einredet, dass wir uns nicht genug verteidigt haben und die ständige Angst davor, dass es wieder passiert.
„Der körperliche Preis, den wir dafür zahlen, eine Frau zu sein, ist ein verdammt hoher“, stellt Lea Joy Friedel klar. „Es ist der Preis, den (Frauen) für ein Leben im weiblichen Körper zahlen müssen. Jede Form von sexueller Belästigung und Gewalt belastet Frauen und bremst sie aus.“ In ihrem Buch „Too Much“ schreibt sie darüber, wie viel Energie, Zeit und Geld Frauen in die Prävention und allzu häufig auch in die Verarbeitung und Therapie von sexueller Belästigung stecken müssen. Und all das nur, „um ein Frauenleben in Koexistenz mit toxischer Männlichkeit zu führen“.
Verteilung von Kosten ist ungerecht
Lea Joy Friedel weiß, wovon sie spricht. In ihrem Buch schreibt sie über die zahlreichen Erfahrungen mit sexueller Gewalt, die sie als Mädchen und junge Frau machen musste: Wie ihre Mail-Adresse in pädophilen Netzwerken kursierte und sie plötzlich Videoanrufe von masturbierenden Männern erhielt. Wie K.o.-Tropfen in ihr Glas gemischt wurden von einem Mann, dem sie vertraute. Wie sie sexuell belästigt und vergewaltigt wurde. Rückblickend stellt die Journalistin und Aktivistin fest: „Viele meiner Erfahrungen, die sich auf mein Frausein zurückführen lassen, haben mich blockiert und es manchmal gar unmöglich für mich gemacht, einfach zu leben, unbeschwert aus dem Haus zu gehen und auf irgendeine Weise am öffentlichen Leben teilhaben zu können.“
Ihr trauriges Fazit: „Die Aufarbeitung dieser Erlebnisse hat mir Lebenszeit, Geld und Energie geraubt, die ich gerne in andere Dinge gesteckt hätte, zum Beispiel in meine Karriere.“
Es wäre anstrengend und teuer genug, wenn die Objektifizierung von Frauen das einzige Problem wäre, mit dem wir uns im Patriarchat rumschlagen müssen. In ihrem Buch thematisiert Lea Joy Friedel aber noch viele weitere Bereiche, die Frauen Geld, Energie, Gesundheit, Freiheit und Autonomie kosten, zum Beispiel Menstruation und Verhütung, Geburten und Care Arbeit.
Dabei kommt sie zu dem Schluss: Die Aufteilung von (nicht nur finanziellen) Kosten zwischen den Geschlechtern ist nicht gerecht. Denn obwohl Frauen statistisch gesehen weniger verdienen, zahlen sie mehr. Schon der erste Satz in „Too Much“ bringt es auf den Punkt: „Frau sein ist ein Vollzeitjob. Wir sind so mit der Aufgabe des Frauseins ausgefüllt, dass kein Augenblick und kein Atemzug für das Menschsein übrig bleibt.“
Grenzen setzen und Hilfe holen
Was muss also passieren, damit diese Schieflage ausgeglichen wird? Laut Lea Joy Friedel ist Aufklärung der erste Schritt, denn zu viele Lügen und Mythen bremsen Frauen aus. „All das verdanken wir den patriarchalen Strukturen, die unsere Körper tabuisieren und uns nicht in Ruhe leben lassen.“ Das liege zum einen daran, dass Frauen selbst kaum über ihre spezifisch weiblichen Probleme und Erfahrungen sprechen. Zum anderen werde ihnen aber auch nicht zugehört.
„Von Menstruation über Verhütung, Abtreibungen, Geburten bis zu den Wechseljahren ist Fruchtbarkeit für Frauen eine Managementaufgabe. Und die gibt uns ganz schön viel zu tun.“ Umso wichtiger sei es, dass diese Themen nicht noch zusätzlich tabuisiert werden.
In vielen Punkten muss sich die Gesellschaft ändern und die Politik für mehr Gerechtigkeit sorgen. Was jede Frau aber für sich lernen muss, ist das setzen von Grenzen. „Die Jahre, in denen ich Stück für Stück lernte, Grenzen zu setzen, waren das Ende meines Good-Girl-Zwanges“, schreibt Lea Joy Friedel. „Das Bewahren der eigenen Grenzen schützt zumindest ein Stück weit provisorisch vor Gewalttaten.“
Vor allem Männern gegenüber habe unsere anerzogene Nettigkeit oft extrem problematische Konsequenzen. „Denn Nettigkeit setzt keine Grenzen.“ Außerdem plädiert die Autorin dafür, sich Hilfe zu holen. Viele Frauen hätten das verlernt und sind deshalb heute auf sich selbst gestellt. „Doch spätestens wenn wir Gewalt erfahren, Kinder bekommen, diskriminiert oder krank werden, ist die richtige Form der Hilfe essenziell. Wir schaffen das alles nicht allein, und das müssen wir auch nicht.“