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Periodenarmut & Stigmatisierung: So sieht es mit der Menstruation in Deutschland aus

Aufgeklärt? Von wegen! Laut der repräsentativen Umfrage Menstruation im Fokus. Erfahrungen von Mädchen und Frauen in Deutschland und weltweit der Kinderrechtsorganisation Plan International und WASH United ist die Menstruation auch heute noch ein großes Tabu. Im Interview erzählt die Mitautorin Claudia Ulferts, woran es hapert und welche Maßnahmen dringend nötig sind.

Das normalste Tabu der Welt: die Menstruation.
Das normalste Tabu der Welt: die Menstruation.

Yahoo Life: Wie aufgeklärt oder eben nicht wird denn in Deutschland mit dem Thema Menstruation umgegangen?

Claudia Ulferts: Man könnte denken, dass sich schon viel getan hätte, denn es gibt mittlerweile viele gute Bücher und Beiträge in den Medien zum Thema Menstruation. In den sozialen Medien wird so viel dazu gepostet, dass es fast schon einem Hype gleichkommt. Diese Diskussionen finden aber oft unter Menschen statt, die nicht mehr davon überzeugt werden müssen, dass es mehr Informationen und weniger Tabus bedarf. Ein Großteil der Gesellschaft wird darüber nicht erreicht.

Unsere Umfrageergebnisse zeigen deutlich, dass Menstruation nach wie vor ein Nischenthema ist, über das nicht offen gesprochen wird. Periodenblut auf Kleidung oder Bettwäsche wird zum Beispiel als beschämend empfunden, ebenso die Vorstellung, dass ein Tampon für alle sichtbar aus der Tasche fallen könnte. Die meisten Mädchen und Frauen möchten ihre Periode im öffentlichen Raum nicht zeigen, sondern handhaben sie im Stillen.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Das größte Problem ist, dass die Menstruation leider immer noch nicht das ist, was sie eigentlich sein sollte: Die normalste Sache der Welt, die Menstruierende über mehrere Jahrzehnte begleitet und über die sie mit der größten Selbstverständlichkeit reden und sich austauschen können sollten.

Laut Ihrer Befragung wussten 21 Prozent der Mädchen bei ihrer ersten Periode gar nicht, was überhaupt los ist. Wann und wie sollte die Aufklärung stattfinden?

Wichtigste und erste Ansprechpartnerin ist die Mutter. Die große Mehrheit der Befragten gab sie als Vertrauensperson an. Jede Siebte behielt ihre erste Periode aber auch komplett für sich und sprach mit niemandem darüber. Jede Fünfte wusste gar nicht, was mit ihr geschah, war überfordert und hilflos. Allein diese Zahlen zeigen, dass auch den Schulen eine große Rolle bei der Aufklärung in der 5. und 6. Klasse zukommen muss.

Die erste Periode ist für viele Mädchen noch immer mit vielen Fragezeichen verbunden. (Grafik: Plan International)
Die erste Periode ist für viele Mädchen noch immer mit vielen Fragezeichen verbunden. (Grafik: Plan International)

Aufklärung steht doch aber im Bildungsplan, warum klappt das nicht?

Die Schulen klären zwar auf, müssten die jungen Menschen aber anders ansprechen. Es kommt auf die Art der Aufklärung an: Sie sollte nicht als peinlich empfunden werden, in einem offenen und vertrauensvollen Umfeld stattfinden und eben nicht nur über die biologischen Fakten informieren. Sie sollte dazu beitragen, dass das Selbstvertrauen der Mädchen gestärkt wird und dass offen auch über Themen wie Schmerzen, Beschwerden, blöde Sprüche oder Unverständnis gesprochen werden kann. Die Berliner Organisation WASH United hat zum Beispiel gutes Material für Schulen entwickelt und gibt Workshops für Lehrkräfte, in denen sie zeigen, wie das Thema nicht peinlich und vertrauensvoll vermittelt werden kann.

33 Prozent der Befragten fühlen sich während der Periode “unrein“. Wie kann man diese Sichtweise ändern?

Frauen wurde Jahrtausende lang eingeimpft, dass Periodenblut etwas “Schmutziges“ ist. Daraus resultiert das Gefühl, “unrein“ zu sein, das viele während der Periode verspüren und sie dazu bringt, ihre Blutung nach außen lieber nicht zu zeigen.

Seit einigen Jahren gibt es nun eine massive Gegenbewegung, vor allem auf Social Media, aber Stigmata sitzen tief in den Köpfen und lassen sich nicht von heute auf morgen ausradieren. Deshalb sollte jede Gelegenheit im privaten Umfeld, aber auch in den Schulen oder bei der Arbeit genutzt werden, um über die Menstruation zu sprechen und sie zu enttabuisieren.

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Auch Jungen und Männer müssen mehr darüber wissen, um die Bedürfnisse der Frauen und Menstruierenden besser zu kennen. Und es muss außerdem Offenheit für die Bedürfnisse nicht binärer menstruierender Menschen geben, die auch sehr unter Stigmatisierung leiden.

Was muss sich im medizinischen Bereich ändern, damit Mädchen und Frauen mit ihren Beschwerden ernst genommen werden und adäquate Hilfe bekommen?

Leider wird Mädchen und Frauen zu oft suggeriert, dass Menstruationsschmerzen nun mal zum Frausein dazu gehören und von ihnen ausgehalten werden müssen. Die Beschwerden müssten also zunächst einmal ernst genommen werden. Nur ein Schmerzmittel verschrieben zu bekommen, hilft den Betroffenen nicht weiter. Besser sind Ratschläge, wie sich Beschwerden eventuell durch Ernährung, Sport, Akkupunktur etc. in den Griff bekommen lassen.

Starke Schmerzen während der Menstruation können auf Krankheiten wie Endometriose hinweisen. (Symbolfoto: Getty)
Starke Schmerzen während der Menstruation können auf Krankheiten wie Endometriose hinweisen. (Symbolfoto: Getty)

Etwa jede zehnte Frau leidet zum Beispiel unter der sehr schmerzhaften Endometriose. Für viele ist es ein jahrelanger Spießrutenlauf von einer Ärzt*in zur anderen, bis endlich feststeht, dass es sich nicht um schlichte Bauchkrämpfe handelt.

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Hier würde es helfen, wenn Ärzt*innen sich zwecks Diagnosestellung deutlich mehr Zeit für Patientinnen mit Menstruationsbeschwerden nähmen und das auch von der Krankenkasse bezahlt würde.

Welche Rolle spielt die Hygiene in öffentlichen Toiletten?

Öffentliche Toiletten sind gerade während der Menstruation ein Graus für Frauen. Jede Dritte bleibt während ihrer Periode manchmal zuhause, aus Sorge, keine anständige Toilette vorzufinden. Es kann nicht sein, dass der Alltag von Frauen von dreckigen Toiletten im öffentlichen Raum mitbestimmt wird.

Wenn es in allen öffentlichen Gebäuden adäquate Toiletten gäbe – ausgestattet mit Mülleimern, Seife, Toilettenpapier und Tampons – wäre schon viel erreicht.

Tatsächlich ist auch in Deutschland Periodenarmut ein großes Thema...

Jede vierte Befragte hat laut unserer Umfrage gesagt, dass die Ausgaben für die Periode für sie eine Belastung seien. Unter den jungen Frauen gab sogar jede Dritte an, sich Periodenprodukte nicht immer leisten zu können. Das zeigt, dass vor allem junge Frauen von so genannter Periodenarmut betroffen sind. Viele würden sich besser versorgen, wenn Binden und Tampons günstiger wären.

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Einweghygieneprodukte aber auch auswaschbare Binden oder Periodenunterwäschen dürfen aber nur eine bestimmte Zeit getragen werden. Werden sie nicht rechtzeitig gewechselt, riskiert Frau gesundheitliche Probleme wie zum Beispiel Harnwegsinfekte. Im schlimmsten Fall kann es auch zum so genannten toxischen Schocksyndrom kommen. Das kommt zwar selten vor, kann aber zum Tod führen.

Auch in Deutschland fehlt vielen Mädchen und Frauen das Geld, um sich genügend Hygieneartikel kaufen zu können. (Foto: Getty)
Auch in Deutschland fehlt vielen Mädchen und Frauen das Geld, um sich genügend Hygieneartikel kaufen zu können. (Foto: Getty)

Wie könnte das geändert werden?

Um Periodenarmut entgegenzuwirken, sollten in allen Schulen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen kostenlose Produkte für den Notfall ausliegen: Gratis-Tampons müssen ebenso selbstverständlich vorhanden sein wie Toilettenpapier. In zahlreichen Städten und Kommunen bieten Schulen oder Universitäten das zum Glück auch an.

Mädchen und Frauen greifen in Notlagen darauf zurück, sei es aus finanziellen Beweggründen oder weil sie gerade nichts dabeihaben. Solche einzelnen Initiativen reichen aber nicht. Die Regierung sollte die Finanzierung für eine flächendeckende Versorgung mit kostenlosen Tampons und Binden sicherstellen, so wie das in Schottland schon der Fall ist.

Aus Angst vor negativen Konsequenzen scheuen viele Mädchen und Frauen Krankmeldungen bei starken Schmerzen. Was müsste hier getan werden?

Es muss etwas Normales werden, sich wegen Periodenschmerzen krank zu melden. Zwar muss niemand in Deutschland den eigentlichen Grund einer Krankmeldungen angeben, aber dennoch sagen wir unseren Kolleg:innen oder Vorgesetzten ja meistens, was los ist.

Wenn aber Periodenschmerzen hinter einer Magen-Darm-Grippe oder Kopfschmerzen versteckt werden müssen, dann ist das abträglich, um Stigmata abzubauen. Wichtiger ist es, ein privates wie berufliches Umfeld zu schaffen, in dem Verständnis für Menstruationsbeschwerden da ist. Hier braucht es eindeutig mehr Offenheit auf allen Seiten.

Laut Umfrage möchte die Mehrheit der Männer mehr über die Menstruation erfahren. Warum informieren sie sich nicht einfach beziehungsweise wie kann man die ins Boot holen?

In Beziehungen sind die Männer oft schon mit im Boot und unterstützen ihre Partnerin. Anders ist das bei denen, die kaum Bezug dazu haben. Da werden dann häufig blöde Sprüche gemacht, die kontraproduktiv sind, möglicherweise auch aus Unwissenheit oder Verunsicherung. Auch Jungen müssen also frühzeitig Wissen über die Menstruation bekommen und vor allem erfahren, wie es Frauen und Menstruierenden damit geht.

Das kann in Schulen geschehen, aber auch im privaten Umfeld, da sind wir wieder bei der Entstigmatisierung. Eine öffentliche Sensibilisierungskampagne der Bundesregierung zum von WASH United initiierten Welt-Menstruationstag wäre ein guter Anlass, um in der Breite der Gesellschaft Bewusstsein für das Thema zu schaffen und zu sagen: “Lasst uns das jetzt mal eine Woche überall zum Thema machen“.

Welches Ergebnis Ihrer Studie hat Sie am meisten überrascht?

Wir hatten aufgrund vergleichbarer Plan-Umfragen in Europa damit gerechnet, dass es auch in Deutschland Probleme mit Periodenarmut geben würde. Die Zahl “jede Vierte“ dann aber schwarz auf weiß zu haben, war doch schockierend. Ebenso hatten wir nicht erwartet, dass die Menstruation noch so stark tabuisiert ist. Die vielen Diskussionen der letzten Jahre suggerieren einem manchmal, dass sich doch schon viel getan haben müsste.