Traum Welten: Die Araucanía in Chile vereint einzigartige Natur mit den Traditionen der indigenen Mapuche

Reisetipp 2025: Araucanía in Chile

Ihr Name klingt nach einem Märchenort und so ist es auch: Die Araucanía in Chile offenbart einen einzigartigen Zauber, mit spektakulärer Natur und den Traditionen der indigenen Mapuche.

Traum Welten: Eine Reise ins mystische Chile

Zum Schwimmen ist es eigentlich zu früh und das Wasser mit 17 Grad ohnehin zu kalt. Einheimische sieht man um diese Jahreszeit in den Vulkanseen eher in Kanus oder Ausflugsbooten, auf Stand-up-Paddles oder mit der Angel. Doch der Lago Villarrica liegt so spiegelglatt und klar wie eine frisch polierte Glasplatte vor mir, dass ich an diesem Frühlingstag auf der Südhalbkugel einfach unter die Oberfläche tauchen will. Also überwinde ich den inneren Widerstand, stelle mir die Gänsehaut als Wärmedecke vor – und springe rein. Kälte, Glück und Schwerelosigkeit blitzen gleichzeitig durch meinen Körper. Als ich nach oben komme, um Luft zu schnappen, stockt mir direkt wieder der Atem, denn um mich herum eröffnet sich ein Bergpanorama in einem Format, das man in Europa nicht kennt. Zwar wird der Landstrich auch Chilenische Schweiz genannt, doch die scheinbare Endlosigkeit der Natur ist mit nichts vergleichbar.

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Naturzeit: Die ganze Majestät der Landschaft offenbart sich beim Trekking um die atemberaubenden Seen des Huerquehue Nationalpark. Einkehr findet man bei einer Massage in der exklusiven Vira Vira-Lodge

Courtesy of andBeyond,

Für ein Land, das neben der landschaftlichen Vielfalt für Dichter*innen wie Pablo Neruda oder Gabriela Mistral berühmt ist, hat sich Chile bei der Namensgebung seiner Naturwunder eher zurückgehalten. Villarrica, zu Deutsch „das schöne Dorf“ und damit als Ortsname schon wenig einfallsreich, gibt es in der Región de la Araucanía, auch Araukanien, in gleich mehreren Ausführungen – als Stadt, als See, als Nationalpark und als Vulkan. Die Stadt ist schnell erzählt: Ich durchquere das mittelgroße Provinznest lediglich – um dann gut 45 Minuten lang am Ufer des gleichnamigen Sees entlangzufahren, der etwa 170 Quadratkilometer misst und über 160 Meter tief ist. Binnenmeerdimensionen. Und so episch, dass Caspar David Friedrich von der Melancholie der Kulisse ergriffen gewesen wäre. Jedenfalls hätte der See seinen eigenen Namen verdient. Wie auch der schneebedeckte Vulkan, der sich am Seeufer auf knapp 3000 Meter in die Höhe streckt, wie eine perfekt geformte, umgedrehte Eiswaffel. Mit bloßem Auge kann ich aus seinem Krater Rauch aufsteigen sehen, 2019 hat er das letzte Mal Feuer gespuckt. Das Lavagestein, das einst aus seinem Inneren in den See floss, hat den feinen Sand anthrazitfarben getüncht; die Asche hält die Böden bis heute fruchtbar. Daher gedeiht die Pflanzenwelt im Nationalpark Villarrica, der sich bis zur argentinischen Grenze erstreckt, so üppig. Gigantische Natur wird hier im Süden Chiles also als „schönes Dorf“ deklariert.

Reisetipp 2025: Araucanía in Chile

Weitsicht: Die Vira Vira-Lodge bietet diverse Exkursionen in den Nationalpark Villarrica, bei denen man u. a. seltene Vogelarten entdecken kann, wie auch den namengebenden Baum der Region, die Araukarie

Courtesy of Turismo Atiende,

Auch die Bezeichnung Süden wackelt – treffender wäre die südliche Mitte des Landes, etwa 650 Kilometer von der Hauptstadt Santiago entfernt. Chile schlängelt sich an der äußersten Westküste Lateinamerikas entlang – ein Land, multiple Landschaften, Wüsten, Berge, Städte in diversen Klimazonen: Als ich in Santiago lande, ist es 27 Grad heiß, während die Thermometer in Punta Arena im tiefen Süden, fast an der Antarktis gelegen, 7 Grad anzeigen und in Temuco, der Hauptstadt der Araucanía etwa 22 Grad (die wärmste Reisezeit für Araukanien ist von Dezember bis März). Die Atacama ganz im Norden und das Feuerland im tiefen Süden sind als Fernwehziele bekannt, doch es dauert nicht lange, die Einzigartigkeit Araukaniens zu erfassen. Während in Deutschland Herbst ist, leuchten hier die Hügel in Abstufungen von Grün, Täler sind von Decken aus Wildblumenblüten bedeckt, Kolibris flattern um die pinkfarbenen Trichter der chilenischen Wachsglocken, der Copihue, die sich wie Lichterketten durch dichte Wälder winden. Weiter oben in den Bergen ragen über 50 Meter hoch tausendjährige Pinien mit staksigen Ästen in den Himmel, eine prähistorische Mischung aus Mammutbaum und Zimmertanne. Sie heißen chilenische Araukarien und sind die Königinnen der Gegend, die nach ihnen benannt ist. Die ist in der Fläche etwas kleiner als Nordrhein-Westfalen, zählt aber nur knapp eine Millionen Einwohner*innen. Man erreicht Temuco in einer Flugstunde von Santiago oder in knapp zweieinhalb Stunden aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, über den Flughafen Bariloche in den Anden. Am Flughafen Temuco (oder in Bariloche) kann man entweder ein Auto mieten oder einen Hotel-Transfer in Anspruch nehmen. Etwa eineinhalb Stunden dauert die Autofahrt bis nach Pucón.

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Mit den Samen der Tanne, die zu den Basics der Mapuche-Küche zählen, kocht Anita Epulef im Restaurant Mapu Lyagl

Courtesy of Anita Epulef Restaurant,

Mein Ziel ist das Hotel Vira Vira, ein kleines Haus inmitten eines riesigen Anwesens mitsamt Gemüsegarten und eigener Käserei, durch das der Fluss Liucura fließt, so klar, dass ich vom Ufer die Fische darin schwimmen sehen kann. Nachhaltigkeit ist im Vira Vira, das zur südafrikanischen Hotelkette AndBeyond gehört, mehr als nur ein angesagtes Schlagwort. Das Hotel ist vollständig plastikfrei, Strom bezieht es durch eigene Solarpaneele. Fast alle Speisen kommen aus Eigenproduktion, von diversen Käsesorten über Aufschnitt, aber auch Granola, Nussmischungen, Trockenfrüchte, Samen und natürlich Obst und Gemüse. Einzig Fleisch und Fisch bezieht das Hotel von Lieferanten aus der Region. Gekocht wird Contemporary Chilean, mit einem starken Fokus auf die Region und deren Küche, die der Mapuche.

Die Mapuche, die in ihrer Sprache Mapudungun Menschen der Erde heißen (Mapu = Erde; Che = Menschen), sind die indigenen Einwohner Araukaniens. Sie selbst nennen ihr Land Wallmapu, was so viel wie Universum bedeutet. Die Küche der Mapuche ehrt ihre starke Verbindung zur Natur, sie steht im Zentrum des täglichen Lebens. Mapuche definieren ihre Küche als heilend, oder wie man in der westlichen Welt sagen würde: Gesund. Entsprechend gibt es im Vira Vira üppige Blattsalate und Eintöpfe, seidige Gemüsepürees mit lokalem Fleisch oder fangfrischen Fisch und Meeresfrüchte aus der nahe gelegenen Küstenstadt Valdivia. Auf dem Tisch steht neben Meersalz immer das Merquén, ein rauchig-feuriges Mapuche-Gewürz aus gemahlenen, über offenem Feuer gerösteten Chilischoten.

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Ein weiteres ausgezeichnetes Hotel in Araukanien ist das Antumalal. Die vom Bauhaus inspirierten Bungalows thronenüber dem Villarrica-See (antumalal.com, Übernachtung ab 300 Euro)

Courtesy of Hotel Antumalal,

Authentische Mapuche-Küche serviert Anita Epulef (Auf Instagram @anitaepulef) seit über zwanzig Jahren im Nachbardorf Curarrehue, nur wenige Autominuten vom Hotel entfernt. Zum Restaurant Mapu Lyagl gehört auch eine Kochschule, in der Epulef unterrichtet. Ich fühle mich dort nicht wie in einem Restaurant, sondern wie in Epulefs Zuhause. In den Regalen stehen vom Fußboden bis zur Decke Gläser mit eingemachtem Obst und fermentiertem Gemüse, von den Oberschränken über den Arbeitsplatten und dem mit Feuer betriebenen Herd und Ofen hängen Sträuße aus Oregano, Fenchel, Thymian und Rosmarin zum Trocknen, es duftet nach Essen und Wohlbefinden. Epulef kocht auf Feuer, und konzentriert sich auf das Grundnahrungsmittel der Mapuche: Die fingergroßen Kerne der Araukarie. Sie werden über Feuer geröstet und schmecken köstlich, nussig und süß, und strotzen vor Nährstoffen. Heute schnippelt Epulef frischen Mangold in ein dünnes Tortilla-Omelett, serviert mit Tomaten-Pinienkernen-Salat, einfach und umwerfend.

Das naturverbundene Weltbild der Mapuche beeinflusst nicht nur das Essen, sondern auch das Handwerk. In allen Zimmern im Vira Vira hängt Textilkunst in Form von handgewebten Wandteppichen der Weberin Sandra Rojos (@telares_sandrarojos). Wie warme Grüße winken sie von den Wänden der Villen herab. Auch Rojos gibt Kurse am traditionellen Mapuche-Webrahmen. Seit Jahrhunderten weben die Frauen Textilien, man beschreibt den Zusammenhang aus Menschen, Tieren und Natur sogar als „Gewebe“. Bis heute wird die Wolle für Decken, Wandteppiche und Ponchos mit Säften aus Beeren und Wurzeln gefärbt, von Hand gesponnen und schließlich verarbeitet. Die Frauen fertigen auch Korbwaren, Holzarbeiten und Keramik an. Im hoteleigenen Shop, wie auch in der Feria Ruka Pulli in Pucón (@rukapulli) oder der Fundación Chol Chol (cholchol.org) in Temuco kann man Kunsthandwerk kaufen.

Tipp: Beim Zwischenstopp in Santiago sollte man sich Zeit nehmen für das Museo Chileno de Arte Precolombino über die indigenen Völker Südamerikas (precolombino.cl) und für die Pulperia Santa Elvira, eines der besten Restaurants des Kontinents (pulperiasantaelvira.com). Nachtquartier: das Boutique-Hotel Magnolia (hotelmagnolia.cl).

Nicht nur Webkunst, auch Silberschmuck gehört zum Handwerk der Mapuche. Rüxafe heißt die Silberschmiedekunst, die prächtigen Schmuck für Lonkos, die Anführer*innen der Lofs, der Kommunen herstellen. Er besteht aus massiven Silberplatten, Kopfschmuck, Armbändern und Ketten, deren Ornamente für die jeweiligen Lofs stehen. Die ersten Silbergeschmeide wurden ursprünglich aus den Münzen gefertigt, die die Mapuche von den spanischen Kolonialisten bekamen. Sie sind das einzige indigene Volk in Lateinamerika, das nicht unterworfen wurde. Nach einem ermüdenden Krieg erkannten die Spanier das Wallmapu als unabhängig an und betrieben Handel mit den Mapuche, kauften Textilien und Mate. Die Mapuche kannten vorher keine Geldwirtschaft, sondern lebten in einem gegenseitigen Versorgungsprinzip, das Ernten gerecht unter den Mitgliedern aufteilte. Ihr kultureller Antrieb war nie Fortschritt und Reichtum, sondern Gesundheit, Gemeinschaft und Einklang mit der Natur. Die Münzen waren entsprechend nutzlos in ihrer Welt, die von Naturgeistern namens Ngen geführt wird.

Reisetipp 2025: Araucanía in Chile

Die Ngen spuken überall durch die Araucanía, die heißen Quellen der Termas Geométricas im Nationalpark Villarrica, die Termas Malleco in der Nähe des Tolhuaca-Nationalpark oder durch den verwunschenen Urwald des Naturreservat Huilo Huilo. Drei Stunden bin ich den Vulkan hinaufgestiegen und habe auf die Seen geblickt. Ganz erklimmen darf man ihn im Augenblick nicht, dafür raucht er zu stark. Die Mapuche nennen den Vulkan Rukapillán, den See Mallalafquén, sie haben für jedes natürliche Element einen Namen, viele sind heilige Stätten für sie. Irgendwann glaube ich, sie zu spüren, die Ngen, als kriechen mir die Schönheit und die Weite der Natur unter die Haut. Kann dieser Zauber echt sein? Ich frage einen chilenischen Tourguide des Vira Vira, ob er an die Ngen glaubt. Er erklärt, dass man, wenn man hier aufgewachsen sei, an die Macht der Natur glauben müsse, ob man sie Ngen nennt oder nicht. Sie sei nicht zu bändigen und würde am Ende alles überdauern.

Dieses Gefühl nehme ich mit runter zum Fluss am Hotel, sehe das klare Wasser vorbeiplätschern, während der Wind durch die Bäume streift, schüchtern fast, zurückhaltend. Mit jedem Rauschen verschwindet die Welt, die Aufmerksamkeit und Anwesenheit von mir fordert, weit weg, irgendwo im Norden von hier. Hinter mir liegen Abenteuer, die Kultur der Mapuche und der Genuss ihrer Küche, die Träumerei und Spiritualität der Natur, die mich an diesen Moment gebracht haben: in die Ruhe des Hier und Jetzt.