Alkoholismus: Was man wissen muss
"Mit 7 Jahren hatte ich den ersten Kater" – gestand Cara Delevingne in einem "Vogue"-Interview und sprach so offen und ehrlich über ihre Alkohol- und Drogensucht wie nie. Sie verriet auch, wie sie es geschafft hat, clean zu werden. Doch ab wann gilt man eigentlich als Alkoholiker und an wen kann man sich in Deutschland wenden, wenn man Hilfe braucht? Ein Suchtmediziner klärt auf.
Im September letzten Jahres schockierte Cara Delevingne mit verstörenden Aufnahmen, die sie verwirrt, orientierungslos und barfuß am Flughafen in Los Angeles zeigten. Ihre Alkohol- und Drogensucht hatte einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das merkte das Model glücklicherweise selbst und begab sich in einen Entzug. Wie sie es schaffte, trocken zu werden, berichtete sie nun erstmals in einem Interview mit der "Vogue".
In dem Video-Clip, der von dem Magazin veröffentlicht wurde, sprach sie darüber, wie peinlich die Paparazzi-Aufnahmen für sie gewesen seien: "Ich hatte nicht geschlafen. Ich dachte, ich hatte Spass, aber die Aufnahmen zeigten mir, wie schlecht ich aussah", so Cara Delevingne. Sie sei rückblickend aber dankbar für die Bilder, das sie dadurch wachgerüttelt wurde: "Mir ging es nicht gut. Manchmal braucht man einen Realitäts-Check, deshalb waren diese Bilder in gewisser Weise etwas, wofür ich dankbar sein kann."
"Ich erkannte, dass eine Zwölf-Schritte-Therapie das Beste ist"
Ihr wurde klar, dass ihr nur noch ein Drogenentzug helfen würde. "Ich erkannte, dass eine Zwölf-Schritte-Therapie das Beste ist, und dass es darum geht, sich dafür nicht zu schämen", so das Model. Sie verriet, dass sie ihr erstes nüchternes Weihnachten und Silvester gefeiert habe und es "die beste Zeit“ sei, die sie je hatte. Zwar sei der Weg zur Nüchternheit "beängstigend“ gewesen, "aber es wird besser und das ist es wert", sagte sie.
Erster Kater bereits im zarten Alter von sieben Jahren
Dass Cara Delevingne bereits mit sieben Jahren Jahren zur Flasche griff, hängt vermutlich auch damit zusammen, dass ihre Mutter drogensüchtig war. "Ich wachte verkatert im Haus meiner Grossmutter auf", erinnert sie sich, nachdem sie auf einer Familienfeier gläserweise Champagner getrunken hatte. Als sie zehn Jahre alt war, hatte sie Schlafprobleme und bekam ein Schlafmittel verschrieben.
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Kurze Zeit später wurde bei ihr Dyspraxie, eine Entwicklungsstörung in der Motorik, diagnostiziert. Diese soll sich stark auf ihre Psyche ausgewirkt haben. Damit hätten ihre Probleme angefangen und sie begann, sich selbst zu verletzen. Mit 15 hatte sie ihren ersten Nervenzusammenbruch und begann, Antidepressiva zu nehmen, ein Medikament, von dem sie heute glaubt, dass es ihr "Leben gerettet" habe.
Sie musste am Boden liegen, um zu begreifen
Nachdem sie die Aufnahmen von ihrem Absturz gesehen hatte, ließ sie sich in die Entzugsklinik "Cirque Lodge" einweisen. Warum es erst jetzt mit einem Entzug klappte, erklärt sie so: "Es gab früher schon Interventionen, aber ich war damals einfach nicht bereit. Das war das eigentliche Problem. Wenn man nicht am Boden liegt und bereit ist, wieder aufzustehen, dann wird man es nicht schaffen.“
Sie sei zwar jetzt nüchtern, doch vor ihr liege immer noch ein weiter Weg: "Die Leute wollen, dass meine Geschichte wie eine Schulaufführung ist, in der ich einfach sage: 'Seht her, ich war süchtig und jetzt bin ich nüchtern und das war's.' Aber so einfach ist es nicht. Es passiert nicht über Nacht ... Natürlich würde ich mir wünschen, dass es sofort klappt ... aber ich muss tiefer graben."
Um zu erkennen, wie es wirklich um sie steht, brauchte Cara Delevingne also Zeit. Und tatsächlich dürfte es viele Menschen geben, die vielleicht selbst befürchten, zu viel Alkohol zu trinken. Doch wie viel ist zu viel?
Was genau gilt als abhängig?
Ab wann man von Alkoholismus spricht, erklärt Dr. Maurice Cabanis, Ärztlicher Direktor der Klinik für Sucht und Abhängiges Verhalten des Klinikums Stuttgart, so: “Abhängigkeit wird vor allem durch ein starkes und zumeist nicht kontrollierbares Verlangen nach einer Substanz oder einem bestimmten Verhalten charakterisiert.“
Im Interview mit Yahoo Style nennt er folgende Kriterien für eine mögliche Alkoholabhängigkeit:
Die betroffene Person hat Schwierigkeiten, die Menge des Alkoholkonsums zu kontrollieren.
Sie setzt den Konsum fort, obwohl daraus schädliche körperliche, psychische oder soziale Folgen resultieren.
Sie vernachlässigt andere Interessen sowie Verpflichtungen zugunsten des Beschaffens und Konsumierens von Alkohol.
Bei der betroffenen Person stellt sich eine Gewöhnung ein (die Alkoholwirkung nimmt bei gleicher Menge über die Zeit ab).
Sie entwickelt Entzugssymptome wie Zittern, Schwitzen, Unruhe, Blutdruck- und Pulsanstieg, wenn kein Alkohol konsumiert wird.
Eine Abhängigkeit wird dann diagnostiziert, wenn drei der sechs genannten Kriterien innerhalb der letzten zwölf Monate vorliegen.
Gibt es Personen, die besonders anfällig sind?
Laut Dr. Cabanis ist die Entwicklung einer Sucht häufig mit psychischen Problemen wie Depressionen, Ängsten oder Traumatisierungen verbunden. Auch übermäßiger Stress, Einsamkeit oder häusliche Probleme können zur Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung beitragen. Konsumiert die betroffene Person in der belastenden Situation Alkohol, erfährt sie dadurch kurzfristig Erleichterung. “Das kann schleichend zu einem hohen und regelmäßigen Konsum führen“, so der Mediziner.
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Laut Robert-Koch-Institut trinken übrigens 14 Prozent aller Frauen in Deutschland und 18 Prozent aller Männer Alkohol in riskanten Mengen, wobei Experten davon ausgehen, dass weit mehr Menschen unerkannt süchtig sind.
Wie hoch ist die Dunkelziffer und was müsste passieren, damit Betroffene eher Hilfe suchen?
Der Mediziner sagt, dass in Deutschland nur 10 bis 20 Prozent der Menschen mit problematischem Alkoholkonsum erreicht werden. Mindestens 80 Prozent der Betroffenen kämen also nicht in das Hilfesystem. Wie das zu ändern wäre, beschreibt er so: “Um mehr Menschen zu erreichen, braucht es niederschwelliger und anonymer Zugänge zum Hilfesystem, attraktive Behandlungsangebote, die sich an den Bedürfnissen und Zielen der Betroffen orientieren sowie übersichtliche Versorgungsstrukturen, die gut erreichbar sind.“
In Stuttgart wurde ein solches Angebot mit dem ASSIST-Projekt etabliert. Wer sich Sorgen um seinen Alkoholkonsum macht, kann zunächst anonym einen Online-Fragebogen ausfüllen. Die Ergebnisse können direkt danach im Regionalen Kompetenzzentrum Stuttgart besprochen und weitere Fragen geklärt werden. “Sollte das Konsumverhalten problematisch sein, erstellen die Mitarbeitenden gemeinsam mit den Personen einen individuellen Behandlungsplan mit passgenauen Angeboten“, sagt Dr. Cabanis. Zudem würden die Personen bei der Weitervermittlung in die geeigneten Einrichtungen unterstützt. Somit erfolge in enger Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Suchthilfeverbund eine frühzeitige und ganzheitliche Versorgung.
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Mehr Informationen zum ASSIST Projekt gibt es unter www.suchthilfeportal.de
Mit welchen Folgen haben alkoholkranke Menschen am meisten zu kämpfen?
“Akut können vor allem lebensgefährliche Entzugssymptome auftreten“, warnt Dr. Cabanis. Wer körperlich abhängig ist, benötigt durch die Gewöhnung an den Alkohol immer mehr für die gleiche Wirkung. Beim abrupten Entzug kann es zu epileptischen Anfällen, Verwirrtheitszuständen und Herz-Kreislauf-Entgleisungen kommen. Langfristige körperliche Folgen sind Schädigungen der Leber, des Magens oder des Nervensystems. Dabei leidet längst nicht nur der Körper: “Auch soziale Konsequenzen wie der Verlust der Arbeit, der Partnerschaft oder der Wohnung können Folgen der Alkoholabhängigkeit sein“, so Dr. Cabanis.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Als ersten Schritt können sich Betroffene an ihren Hausarzt wenden, direkt an eine Suchtberatungsstelle oder eine suchtmedizinische oder psychiatrische Ambulanz an einer Klinik aufsuchen.
Wohin kann ich mich als Angehöriger oder Freund wenden?
Auch Angehörigen empfiehlt der Suchtexperte den Weg zur Beratungsstelle. Weitere Anlaufstellen sind Hausärzt*innen, Selbsthilfegruppen für Angehörige oder Angehörigenverbände.
Wie sieht eine Therapie aus und wie oft ist sie erfolgreich?
Wie genau eine Behandlung aussieht, ist sehr unterschiedlich und hängt auch von den Zielen und Fähigkeiten der Betroffenen ab. Unabhängig von ambulanten oder stationären Behandlungen sind die Therapien entweder auf komplette Abstinenz, kontrollierten Konsum oder Schadensminimierung ausgerichtet. Laut Dr. Cabanis werden “je nach Qualität des Versorgungsangebots ca. 30-60 Prozent der Behandlungen in Deutschland innerhalb eines Jahres als erfolgreich bewertet“.
Anmerkung der Redaktion: Suizidgedanken sind häufig eine Folge psychischer Erkrankungen. Letztere können mit professioneller Hilfe gelindert und sogar geheilt werden. Wer Hilfe sucht, auch als Angehöriger, findet sie etwa bei der Telefonseelsorge unter der Rufnummer 0800 – 1110111 und 0800 – 1110222. Die Berater sind rund um die Uhr erreichbar, jeder Anruf ist anonym und kostenlos.
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