Experten( )Wissen: Big-Five-Persönlichkeitstypen: Warum dieser Test aussagekräftiger ist als der 16-Personalities-Test

Wer bin ich? Was macht mich unverwechselbar und wo liegen meine Stärken und Schwächen? Persönlichkeitstests sollen Antworten auf diese Fragen liefern. Einer dieser Tests ist der Big-Five-Persönlichkeitstest. Er gilt als wissenschaftlich am besten belegt. Doch wie aussagekräftig ist dieser Test wirklich? Diese und weitere Fragen beantwortet unser Experte Dr. med. Hannes Horter, Chefarzt der Oberberg Fachklinik Weserbergland und der Oberberg Tagesklinik Hannover.

Test
Nicht nur im privaten, auch im beruflichen Kontext sind Persönlichkeitstests häufig genutzte Tools, um mehr über einen Menschen zu erfahren.

Der Big-Five-Test analysiert die Persönlichkeit anhand von fünf zentralen Merkmalen, dem sogenannten OCEAN-Modell (auch als CANOE-Modell bekannt).

O – Offenheit: Bereitschaft, sich neuen Informationen und Erfahrungen zu öffnen, Neugier und Toleranz

C – Gewissenhaftigkeit (englisch: conscientiousness): Tendenz, systematisch und planvoll vorzugehen, Blick fürs Detail und Ordnungsliebe, Zuverlässigkeit und Beständigkeit, Bedürfnis nach Berechenbarkeit.

E – Extraversion: Neigung, gesellig, gesprächig und tendenziell eher nach außen orientiert zu sein – im Gegensatz zur Introversion, also die Neigung, sich in sich selbst zurückzuziehen.

A – Verträglichkeit (englisch: agreeableness): Fähigkeit im Umgang mit anderen, Freundlichkeit und Diplomatie.

N – Neurotizismus: Tendenz zu Ängstlichkeit, man grübelt häufig und neigt zu problemfokussiertem Denken. Man ist anfällig für Stress. Neurotizismus ist ein Faktor psychischer Instabilität.

Als Basis des Tests haben Forschergruppen eine Vielzahl von Eigenschaften, die unter dem Begriff "Persönlichkeit" subsumiert werden können, zu Gruppen von ähnlichen oder verwandten Merkmalen zusammengefasst. Diese Gruppen wurden anschließend weiter reduziert. Als Ergebnis blieben die fünf Merkmale als zentrales Inventar der Persönlichkeit übrig. Obwohl sie allein möglicherweise keine vollständige Persönlichkeitsbeschreibung ermöglichen, erfassen sie dennoch einen bedeutenden Teil dessen, was menschliches Verhalten und Erleben ausmacht.

Yahoo Life: Woher kommt die Faszination für Persönlichkeitstests?

Die meisten Menschen wollen sich, ihr Verhalten und ihr Schicksal besser verstehen. Dies führt zu der Popularität von Horoskopen, aber auch Persönlichkeitstests. Bei diesen werden leicht verständliche und dem eigenen Selbstwert zuträgliche Antworten bevorzugt. Ich habe heute einen solchen Test gemacht und wurde anschließend mit Martin Luther King und Nelson Mandela verglichen. Das würde ich natürlich lieber teilen als den Vergleich zum Beispiel mit Charles Manson.

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Yahoo Life: Wie aussagekräftig sind solche Tests für den privaten Kontext?

In der Wissenschaft bewerten wir Tests nach ihrer Validität. Wir fragen also: Misst der Test das, was er soll? Außerdem bewerten wir seine Reliabilität: Wie zuverlässig ist der Test bei dieser Messung? Schwankt etwa das Ergebnis stark bei späterer Wiederholung? Ergebnisse dazu liegen für die Mehrzahl der privat genutzten Tests nicht vor.

Die meisten durchgeführten Tests beruhen auf Selbsteinschätzungen beziehungsweise dem, was man über sich preisgeben möchte. Bei einem anonymen Online-Test, wie sie im privaten oft stattfinden, antwortet man vielleicht ehrlicher. Aber auch das schützt nicht vor Selbsttäuschung oder einer verzerrten Selbstwahrnehmung. Ohne menschliche Beobachter als metaphorischen Spiegel können verzerrte Selbstbilder nicht sicher aufgedeckt werden.

Yahoo Life: Und für den beruflichen Kontext?

Auch in professionellen Kontexten, etwa zur Einschätzung von Bewerber*innen, werden überwiegend Selbstaussagen ausgewertet, wobei es die Möglichkeit gibt, die Ergebnisse mit persönlichen Gesprächseindrücken abzugleichen und somit zumindest auf subjektive Plausibilität zu prüfen. Hier bestehen jedoch oft auch bestimmte Interessen der Probanden, zum Beispiel als gute*e Arbeitnehmer*in zu erscheinen oder einfach nur einen netten Eindruck zu hinterlassen. Bei ausführlichen Testungen wird teilweise auch versucht zu messen, wie stark die Antworten durch die Tendenz sozial erwünscht zu antworten, beeinflusst sind.

Die Möglichkeit, gezielt Befragungen des sozialen Umfelds durchzuführen und über diese Fremdeinschätzung ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen, wird nur selten genutzt und ist viel aufwendiger, aber auch valider. Auch in sogenannten Assessmentcenters ist die Idee, dass äußere Beobachter*innen in echten Belastungssituationen ein klareres Bild von den Bewerber*innen erhalten.

Bewerbungssituation
Extrovertiert oder introvertiert? Eher systermatisch oder kreativ? Viele Arbeitgeber setzen Persönlichkeitstests im Bewerbungsverfahren ein, um mehr über Bewerber*innen zu erfahren.

Bei gut untersuchten Tests können wir die Ergebnisse mit sogenannten "Normstichproben", also den Ergebnissen einer großen Gruppe "normaler" Mitmenschen, vergleichen und somit beispielsweise die Aussage treffen, dass jemand überaus gesellig ist und 80 Prozent der Deutschen weniger gesellig sind. Weitergehende Interpretationen, etwa dass wir besonders gut für bestimmte Berufe geeignet sind, beruhen in der Regel auf logisch begründeten Annahmen oder einzelnen Fällen und nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Sobald Proband*innen das Interesse haben, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, muss man die Validität des Tests aber in Frage stellen, da er unter Umständen nur zeigt, wie gut die Fragen durchschaut werden. Daher sind viele Persönlichkeitstests in Bewerbungsverfahren fraglich.

Yahoo Life: Welche Gefahren birgt womöglich das damit verbundene "Schubladendenken"?

Zum Glück sind die meisten Online-Tests eher gutmütig formuliert und beschreiben eher Stärken als Schwächen, so dass hierdurch sicher kaum akute Selbstwertkrisen ausgelöst werden. Aber ein ehrlicher Test müsste auch auf gravierende Charakterschwächen hinweisen können.

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Wenn man die Ergebnisse von einigen Persönlichkeitstests zu ernst nimmt, kann dies zu einer Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten führen und man könnte Zielen oder Berufsperspektiven nachjagen, für die man gar nicht geeignet ist. Wenn bei Einstellungsgesprächen zu stark in Schubladen gedacht wird, könnten wichtige Talente unbegründet abgelehnt oder Teams zu einseitig zusammengestellt werden.

Yahoo Life: Welchen Nutzen kann ich aus dem Ergebnis eines Persönlichkeitstests ziehen?

Wenn der Test das misst, was er soll und hierzu fundierte Einschätzungen über unsere besonderen Stärken und Schwächen liefert, kann er uns beispielsweise bei der Berufswahl unterstützen. Aber auch hier ersetzt er nicht die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und dem, was man wirklich möchte.

Viele Tests haben aber gar nicht die Absicht, wirklich etwas zu messen, sondern dienen der Unterhaltung, dem Wohlfühlen und sollen sich am Ende möglichst gut verkaufen. Ein geschmeichelter Selbstwert, ein paar kurzweilige Minuten und ein toller Post in den sozialen Medien haben natürlich auch einen Wert.

Yahoo Life: Kann man Milliarden von Menschen zuverlässig in wenige Kategorien einordnen?

Ausgehend von den Gütekriterien der Validität und Reliabilität gibt es Tests, die zuverlässig die Ausprägung bestimmter Merkmale messen. Weniger valide ist hingegen die Zuordnung zu Kategorien. Für die Big-Five nach Costa und McCrae gibt es zuverlässige Tests wie den NEO-PI-R (NEO-Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung). Hier können zu den 5 Persönlichkeitsachsen noch je 6 Unterkategorien bestimmt werden, also 30 insgesamt. Für jede dieser Unterkategorien kann ein Punktewert bestimmt werden, den wir mit Normstichproben abgleichen können, um eine Aussage im Vergleich zu den Mitmenschen zu treffen. Eine Zuordnung zu konkreten Kategorien mit hieraus abgeleiteten Fähigkeiten erfolgt hingegen nicht. Theoretisch könnten wir mit allen 30 Unterkategorien und der jeweiligen Zuordnung zu einer Ausprägung (leicht, mittel und stark) bereits 8.100 Typen erstellen. In der modernen Psychologie dominieren aktuell die dimensionalen Persönlichkeitsmodelle wie die Big-Five (bei dem Ausprägungsgrade verschiedener Eigenschaften gemessen werden) klar vor den eher veraltet geltenden kategoriellen Modellen.

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Yahoo Life: Ist das Big-Five-Persönlichkeitsmodell das wissenschaftlich am besten belegte Persönlichkeitsmodell?

Ich würde dem voll und ganz zustimmen. Zum einen wurde das Modell unter Einsatz verschiedener wissenschaftlicher und statistischer Methoden aufgestellt und für verschiedene Sprachen und Kulturräume überprüft. Aus dem Modell wurden mehrere Tests abgeleitet und an tausenden Proband*innen getestet und normiert. Nicht umsonst wurde das Modell in die neue Internationale Klassifikation von Krankheiten (ICD-11) zur Beschreibung von Persönlichkeitsstrukturen aufgenommen.

Yahoo Life: Wenn also ein Persönlichkeitstest, dann sollte es der Big-Five-Test sein?

Im Gegensatz zu den beliebteren "Typentests" gibt es hier keine so einfache Auswertung im Sinne der Zuordnung zu einer Schublade. Wir können mit den Normstichproben Vergleiche zu Mitmenschen für jede der 5 Achsen anstellen oder sogar für alle 30 Subkategorien, bekommen aber keine Zusammenfassung, was das bedeutet. Wenn ein Personaler beispielsweise liest: Unterdurchschnittlicher Neurotizismus, hohe Extraversion, durchschnittliche Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Offenheit – was macht er damit? Ob das gut oder schlecht ist, müssen wir am Ende selbst entscheiden. Wenn der Test uns eigentlich eine Entscheidung abnehmen soll, dann wäre ein Test auf Grundlage des Big-Five-Modells keine gute Wahl. Aber ich würde auch niemanden raten, einen anderen Persönlichkeitstest zu machen, um eine Entscheidung abzugeben.

Yahoo Life: Der auf dem Myers-Briggs-Typenindikator basierende "16 Personalities"-Test ist sehr beliebt, besonders auf Social Media. Ist der Big-Five-Test aussagekräftiger?

Abgesehen davon, dass der 16 Personalities-Test für sich selbst beansprucht, das beste beider Welten zu vereinen und auf dem Big-Five-Modell aufzubauen und Typen wie beim Myers-Briggs-Typenindikator zu bestimmen, ist das Ergebnis eine "Schublade". Der bestimmte Typ mit den zugewiesenen Eigenschaften macht das Ergebnis plakativ und leicht verdaulich, verlässt aber den Bereich der wissenschaftlich belegbaren Schlussfolgerungen. Umgedreht hat ein klassisches Testverfahren auf der Basis der Big-Five nicht das Potenzial zum Kassenschlager: Niemand sagt, was man mit den Ergebnissen machen soll und welche besonderen Fähigkeiten in der eigenen Persönlichkeit stecken. Auch Horoskope sind sehr beliebt, aber nicht wegen ihrer wissenschaftlichen Evidenz.

Hier geht’s zum Big-Five-Persönlichkeitstest.

Unser Experte:

Dr. med. Hannes Horter, Chefarzt der Oberberg Fachklinik Weserbergland und der Oberberg Tagesklinik Hannover. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Promotion und MBA Healthmanagement.

Quelle: Privat
Quelle: Privat

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