Experten()Wissen: Was passiert eigentlich bei einer Paartherapie?

Während am Anfang einer Beziehung die Schmetterlinge im Bauch nur so flattern, zeigen sich früher oder später bei jedem Paar die ersten Schatten am Horizont. Zu wenig Nähe, fehlendes Verständnis, kein Sex ist eine Beziehung noch zu retten, wenn solche Probleme den Alltag bestimmen? Eine Paartherapie soll helfen, in solchen Situationen wieder zueinanderzufinden. Im Interview mit Yahoo Life erklärt der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann, wie eine Paartherapie genau abläuft, wann der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist und mit welcher einfachen Übung man auch ganz ohne Therapeut*in die eigene Beziehung stärken kann.

Paar bei der Therapie
In einer Paartherapie werden mit Hilfe von Therapeut*innen Gespräche geführt, die Paare bisher selbst nicht führen konnten. (Symbolbild: Getty)

Yahoo Life: Wie kann man sich eine Paartherapie-Sitzung vorstellen? Zwei Menschen kommen zu Ihnen in die Praxis. Wie geht es dann weiter?

Je nach Anliegen der Partner*innen betrachten wir die Konflikte, die durch unterschiedliche, aber gleichberechtigte Bedürfnisse entstehen. Es geht eher selten darum, den zurückliegenden großen Streit nachträglich zu lösen, sondern vielmehr darauf zu schauen, warum sich der Konflikt nicht hat lösen lassen. Wie wollen wissen, wofür beide kämpfen, nachdem wir uns angesehen haben, warum sie gekämpft haben. Jede*r Therapeut*in hat hier andere Abläufe, Werkzeuge und Interventionen. Es fängt damit an, die Beziehung des Paares anzusehen: Was verbindet sie? Und natürlich: Was trennt sie im Moment? Einige Kolleg*innen arbeiten eher körperorientiert, andere gesprächsorientiert oder emotionsfokussiert. Was gute Paartherapie aber niemals ist: Dass der Therapeut Schiedsrichter des Paares wird und einer Seite Recht gibt. Das ist oft schwer auszuhalten für Personen, die insgeheim hoffen: Wenn der Therapeut erst einmal sieht, wie ich behandelt werde und wie sich mein Partner verhält, dann wird er ihm sagen, was er anders machen muss. Das ist ein sehr verständlicher Wunsch, aber der ist nicht nachhaltig. Ziel muss sein, dass das Paar keinen Schiedsrichter benötigt – in seinem eigenen Spiel nach den gemeinsam verhandelten Spielregeln.

Yahoo Life: Was ist generell das Ziel einer Paartherapie?

Mein Ziel ist, Paaren zu helfen die Gespräche zu führen, die sie führen müssten, aber bisher nicht führen konnten. Paare ringen meist verbittert um Lösungen und arbeiten sich aneinander ab. "Wenn du mich wirklich lieben würdest, würdest du das so machen, wie ich mir das wünsche" – das ist ein typischer, sehr menschlicher Gedanke, der aber nicht weiterhilft. Viele Menschen erwarten, dass der Therapeut ihre*n Partner*in davon überzeugt, die Veränderungen umzusetzen, die sie sich wünschen aber bisher nicht bekommen haben. Sie sagen oft: "Mein Partner versteht mich nicht."

Die Wahrheit ist aber meist: Doch, er versteht sie, will aber ihren Wunsch nicht erfüllen. Und dieses Nein ist eine sehr schmerzhafte Botschaft von der Person, die man liebt. Und je nach individuellem Selbstwert, Persönlichkeit und Bindungsverhalten reagieren Menschen darauf meist eher schlecht. Ein anderer Aspekt, auf den wir in der Paartherapie den Blick richten: Wie reagiere ich in Stressituationen mit meiner Partnerin/meinem Partner? Und was macht das mit mir und ihr/ihm? Bin ich dann die Person, die ich sein möchte und die ich mag? Das sind nach meiner Erfahrung die wichtigen Fragen. Für die Paare zeigen die sich meist zunächst in einem vermeintlich unlösbaren Konflikt über Haushaltsteilung oder das jeweilige Beziehungsmodell.

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Yahoo Life: Wie lange dauern Paartherapien im Schnitt? Wie viele Sitzungen braucht man?

Das ist sehr individuell und hat mit dem individuellen Anliegen. Und vor allem auch damit, wie viel die Paare zwischen den Terminen üben. Die eigentlichen Veränderungen finden ja zu Hause statt. Die Sitzungen starten nur die Prozesse. Weniger als fünf Termine sind selten, mehr als 20 Termine ebenfalls.

Yahoo Life: Wann ist eine Therapie erfolgreich beziehungsweise abgeschlossen?

Wenn beide Partner*innen sich auf eigene Veränderungen einigen konnten, die sie als Persönlichkeit ebenso unterstützen können wie als Paar. Das bedeutet, eine Paartherapie kann auch als Trennungsbegleitung enden, weil beide Parteien sehen, dass es besser wäre, die Hoffnung zu begraben, der andere müsse sich für sie verändern.

Yahoo Life: Wem empfehlen Sie eine Paartherapie oder eine Paarberatung?

Jedem Paar. Denn mit den Jahren sammeln sich automatisch nicht nur die guten Erinnerungen an, sondern auch die Verletzungen, die durch Konflikte und eskalierende Konflikte, also Streits, entstehen. Diese Verletzungen sorgen für Vermeidungs- und Schutzstrategien. In der Folge prallen individuelle Stressreaktionen auf Stressreaktionen. Beispielsweise möchte ein Partner einen Konflikt sofort lösen, der andere benötigt dafür Zeit. Das führt schnell zu einer Forderungs-Rückzugs-Dynamik, die die ganze Beziehung dominieren kann. Denn was macht ein Mensch der nicht gehört wird? Er wird lauter. Und was macht ein Mensch, der sich bedrängt fühlt? Er zieht sich weiter zurück. In der Folge denkt jede*r der beiden: Ich bin richtig, du bist falsch. Sobald der Gedanke präsent ist, ist die Dynamik nicht mehr auf Augenhöhe, weil die Partner*innen sich nicht mehr gleichberechtigt erleben mit ihren Bedürfnissen.

Yahoo Life: Woher weiß ich, wann der richtige Zeitpunkt für eine Beratung ist?

Es gibt kein zu früh. Denn je besser sich das Paar fühlt, umso motivierter wird es neue Impulse, beispielsweise für eine zugewandte Paarkommunikation, annehmen und anwenden. Wenn es erst einmal zu verletzenden Streits gekommen ist, braucht es eine Menge Zeit und Mühe, damit die Partner*innen emotional wieder abrüsten können und gesprächsbereit und veränderungsbereit sind.

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Yahoo Life: Was sind die häufigsten negativen Muster, die in Beziehungen auftreten und an denen man arbeiten sollte?

Wir wünschen uns, dass der Partner sich selbst verändert, anstatt dass wir uns verändern. Das ist nur menschlich, denn nachhaltige Veränderungen sind schwierig. Deshalb soll der andere bitte zuerst anfangen. Häufig sind sich die Partner dessen aber gar nicht bewusst. In der Paartherapie gilt es das Muster und die verständlichen Hintergründe dieser Abwehrhaltung zu betrachten. Diese müssen gegebenenfalls verändert werden und man versucht, sich auf Veränderungen einigen zu können, die beide mittragen können. Wie das gelingt, ist unterschiedlich. Sehr feindselige Paare gehen miteinander anders um als passiv-aggressive oder resignierte Partner. Alles, was nicht auf Augenhöhe ist, jeder Partner, der seine Bedürfnisse für berechtigter sieht als die des Partners, trägt zu einer negativen Dynamik bei.

Yahoo Life: Wie reagiere ich, wenn mein*e Partner*in keine Therapie machen möchte?

Wir können Menschen nicht zwingen und nicht verändern. Und hier wartet oft bereits das erste schwierige "Nein" und der Umgang mit dieser Ablehnung. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass falsche Vorstellungen von einer Paartherapie viele abhalten. Die Furcht, dass der/die Therapeut*in parteiisch wäre, ebenso. Ich empfehle: Sehen Sie sich meine Serie "Die Paartherapie" an. Von vielen Paaren bekomme ich zurückgemeldet: "Ich wollte nie eine Paartherapie machen, seit ich die Serie gesehen habe, bin ich dazu bereit."

Yahoo Life: Wird eine Paartherapie/Paarberatung von der Krankenkasse übernommen? Falls nein – mit welchen Kosten muss ich rechnen?

Nein, Kassen übernehmen keine Kosten für Paartherapie. Die Preise variieren zwischen 60 und 200 Euro pro Stunde.

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Yahoo Life: Gibt es einfache Übungen für Paare, die die gemeinsame Dynamik stärken und für Nähe sorgen? Was kann man jeden Tag für die eigene Beziehung tun?

"Alles, was Paare im Alltag füreinander tun, ist Vorspiel", sagte Professor John Gottman. Dem kann ich nur zustimmen. Was das konkret sein kann? Eine schöne Übung für Paare, die für Nähe und Wertschätzung sorgt, ist die '30 Tage-Herausforderung'. Sagen Sie oder tun Sie zweimal am Tag – 30 Tage lang – etwas, das Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zeigt, dass Sie ihn/sie lieben, schätzen oder wertschätzen. Aber: Sie sagen nicht, was das genau war. Ebenso soll Ihr Partner das nicht sagen. Es geht in dieser Übung um das Machen und nicht um das Darüber-Sprechen. Die wahre Herausforderung dabei ist, dass sich die "Daily Doubles" nicht wiederholen sollen. Sie benötigen bei 30 Tagen insgesamt 60 Ideen! Damit Sie den Überblick nicht verlieren, gebe ich meinen Paaren hierfür ein Kalenderblatt, in das sie ihre Ideen eintragen können.

Ich möchte Paare darüber hinaus auch immer ermutigen, die Möglichkeiten von Online-Weiterbildungen zu nutzen. Es gibt beispielsweise hervorragende Live-Online-Seminare über Grundlagen der Paarkommunikation, die ein wunderbarer Einstieg sind und erste Übungen für den Alltag vermitteln."

Eric Hegmann
Eric Hegmann. (Bild: Robert Hilton)

Unser Experte

Eric Hegmann, Paartherapeut, Beziehungs-Experte, Single-Coach und Autor. Er lebt in Hamburg und führt dort seine eigene Praxis. Er entwickelt zudem Onlinekurse und Persönlichkeitstests rund um die Themen Partnerwahl, Konfliktlösung und Bindungsverhalten.

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