Extrem-Abenteurer Eliott Schonfeld: "Ich war mir sicher, dass ich dort sterben werde"

Indiana Jones, Lara Croft und Nathan Drake bekommen Konkurrenz. Was Eliott Schonfeld von den Genannten unterscheidet: Seine Abenteuer sind real. Egal wo auf der Welt, sein Ziel ist immer das gleiche: so weit weg wie möglich von der Zivilisation.

Mit 27 Jahren hat Eliott Schonfeld schon mehr von der Welt gesehen als die meisten im ganzen Leben. Als waschechter Abenteurer und Entdecker kennt der Franzose nur ein Ziel: die Wildnis. Sein Credo: "Zivilisation ist wie ein Krieg gegen die Natur." Seine Abenteuerlust brachte ihn unter anderem nach Island, in die Mongolei und nach Alaska. Im nördlichsten Bundesstaat der USA bewegte er sich 1.800 Kilometer im Kanu vorwärts und 800 Kilometer zu Fuß in Richtung Arktischer Ozean. Über seine Abenteuer im Himalaya drehte Schonfeld einen Dokumentarfilm namens "Le Minimaliste - An Himalayan Adventure". Mit diesem filmischen Selbstporträt wurde er zum Gesicht der European Outdoor Film Tour 19/20 - www.eoft.de -, dem größten europäischen Outdoor-Filmfestival. Als wir Eliott Schonfeld zum Interview trafen, kam er gerade erst zurück vom Amazonas. Fast hätte das nicht geklappt: "Ich war mir sicher, dass ich dort sterben werde", sagt er.

teleschau: Sie leben ein Leben, das andere nur aus dem Kino kennen. Wie wird man eigentlich Abenteurer?

Eliott Schonfeld: Bei mir war das Zufall. Ich wollte als 19-Jähriger vor dem Studium eine Auszeit nehmen und reiste nach Australien. In einem Reiseführer las ich von der größten Sandinsel der Welt - Fraser Island. Die Natur kannte ich damals nur vom Campingurlaub mit meinen Eltern. Doch auf der Route waren keine Supermärkte weit und breit. Ich verlor mich in einem tropischen Wald. Zum ersten Mal erlebte ich echtes Alleinsein. Ich ernährte mich von Essensresten, war von Hunger geplagt und wurde von Dingos geweckt. Aber ich spürte auch den großen Raum der Natur, ich war für mich selbst verantwortlich. Das war für mich die aufregendste Erfahrung meines Lebens.

teleschau: Und danach wurde aus dem Studium nichts mehr?

Schonfeld: Seit ich die Natur kennengelernt hatte, wollte ich so viel Zeit wie möglich dort verbringen. Als Nächstes verbrachte ich fast ein Jahr in einem abgelegenen Teil von Quebec in einer Holzhütte, umgeben von Flüssen und Wäldern. Aber nach zwei Jahren Pause, dachte ich, es sei an der Zeit, ins reale Leben zurückzukehren. Ich begann ein Philosophiestudium an der Uni Paris-Sorbonne. Doch ich fühlte mich nicht wohl dabei, in einem Hörsaal herumzusitzen. Schon in der ersten Woche entschloss ich mich, Entdecker zu werden.

teleschau: Mit 23 Jahren gingen Sie nach Alaska, weil Sie einen Grizzlybären live sehen wollten. Hat das geklappt?

Schonfeld: Ich sah viele Grizzlys. Einmal machte ich einen Fehler: Ich schlug mein Zelt in der Nähe eines Flusses auf, obwohl da Fußstapfen von einem Bären zu sehen waren. Ein Schwarzbär kam und zerstörte mein Zelt. Wir hatten einen langen Kampf. Immer wenn er näher kam, warf ich Steine in seine Richtung, um ihn zu vertreiben. Doch nach jeder halben Stunde kam er wieder. Das ging ewig so hin und her. Ich dachte darüber nach, ob ich aufgeben sollte. Irgendwann war er wohl müder als ich. Am nächsten Morgen sagte ich zu mir selbst: Das war eine der tollsten Erfahrungen meines Lebens. Später war ich deshalb auf meiner eigenen Beerdigung.

teleschau: Wie ist das zu verstehen?

Schonfeld: Ich hatte nach der Bärenattacke per Satellitentelefon meine Freundin angerufen und sie gebeten, meinen Eltern zu sagen, dass alles in Ordnung ist. Das hat sie vergessen vor Freude über meinen Anruf. Meine Eltern dachten, ich sei tot. Sie schrieben bereits eine Grabrede. So hatte ich das Privileg, auf meiner eigenen Beerdigung anwesend zu sein.

"Zivilisation ist wie ein Krieg gegen die Natur"

teleschau: Wie verbringen Sie die Zeit, in der Sie nicht in der Wildnis sind?

Schonfeld: Mit Träumen von der nächsten Reise. Manchmal schlafe ich nachts nicht, weil ich Stunden damit verbringe, auf Karten nach den wildesten Orten der Erde zu suchen, so weit weg wie möglich von der Zivilisation.

teleschau: Was können wir von Menschen lernen, die außerhalb der Zivilisation leben?

Schonfeld: Meine erste Begegnung dieser Art waren die Nomaden in der Mongolei. Ihr Lebensstil unterscheidet sich komplett von unserem. Für mich ist das Gegenteil des urbanen Lebensstils Unabhängigkeit. Dieses Konzept der Nomaden interessierte mich. Weil ich das Gefühl hatte, es verleiht einem totale Freiheit. Sie sind nicht abhängig von anderen Leuten oder einer Infrastruktur. In einer Stadt bist du weit entfernt vom Ursprung der Dinge. Du lernst beispielsweise nicht, wie man Kleidung selbst herstellt oder zu jagen. In Alaska fand ich das auf die harte Tour heraus.

teleschau: Inwiefern?

Schonfeld: Ich hatte meinen Proviant falsch kalkuliert. Deshalb musste ich lernen, zu fischen und essbare Pilze und Früchte zu finden. Diese Freiheit in der Nahrungssuche war ein Schlüsselerlebnis für mich. Weil ich begriff: Wenn ich mich nach Unabhängigkeit sehne, kann ich einfach in der Natur bleiben.

teleschau; Was ist der größte Unterschied zwischen dem Leben in der Zivilisation und dem in der Natur?

Schonfeld; Es ist das komplette Gegenteil. Zivilisation ist wie ein Krieg gegen die Natur. Sie stiehlt, was sie braucht. Jeden Tag werden 100 Spezies getötet. Zivilisation wird nie nachhaltig sein oder respektvoll mit dem Leben umgehen. Weil es ihr nicht möglich ist. Wenn du in der Stadt lebst, vergisst du, dass du Teil der Natur bist. Das ist der Grund, warum in Städten verrückte Dinge passieren.

teleschau: Und in der Natur?

Schonfeld: Wenn du außerhalb der Zivilisation bist, verstehst du: Die Natur spielt keine Nebenrolle, sondern du bist Teil davon. Es gibt Regeln, die du respektieren musst, wenn du in der Wildnis überleben willst. Da erst erkennst du die wahre Realität. Es ist verrückt zu glauben, die Lösung läge darin, zum Mars zu reisen. Meine Lösung ist: Lasst uns zurückreisen auf die Erde, die wir aus den Augen verloren haben! Wenn ich in die Wildnis gehe, kehre ich zurück zur Erde. Ich mag es hier. Sie ist das Einzigartigste, das ich kenne, und wir töten sie.

"Ich hätte mir nie verziehen, wenn er stirbt"

teleschau: Bei Ihrer Himalaya-Reise gingen Sie radikal vor, um sich so frei wie möglich zu fühlen ...

Schonfeld: Ich wollte auch hinsichtlich der Ausrüstung unabhängig sein. Ich ersetzte also Dinge, die eigentlich in der Wildnis wichtig wären: Feuerzeug, Zelt, Schlafsack, und so weiter ... Ich wollte einen tibetanischen Stamm und Jäger in Nepal kennenlernen und von ihnen lernen. Mit ihrer Hilfe konnte ich die Reise ohne Dinge, die eigentlich als elementare Ausrüstung gelten, beenden.

teleschau: Welche Dinge ließen sie weg?

Schonfeld: Zu Beginn der Expedition hatte ich noch Messer, Schlafsack, Zelt, Pullover, Unterwäsche, Socken, Hose, Ofen, Feuerzeug, Wasserfilter, Bücher. Als Proviant chinesische Nudeln, Reis, Trockennahrung. Erst im letzten Monat der Expedition, als ich von den Bergen herunter kam in Nepal, verzichtete ich auf diese Dinge. Ich ersetzte sie mit Dingen aus der Natur.

teleschau: Und zwar?

Schonfeld: Das Erste, was ich baute, war mein eigener Rucksack aus Bambus. Dann der Schlafsack. Und eine Jacke aus Schafsfell. Als Ersatz für mein Zelt suchte ich mir eine Höhle, und wenn ich keine fand, baute ich eine natürliche Schlafstätte aus Hölzern und Steinen.

teleschau: Lernten Sie auch, wie man Feuer ohne ein Feuerzeug macht?

Schonfeld: Ja, mit Bambusfasern als Zunder und zwei Holzstöcken, die gegeneinander gerieben werden. Als Raucher würde man sich das schnell abgewöhnen, weil es zu lange dauert.

teleschau: Begegneten Sie im Himalaya wilden Tieren?

Schonfeld: Affen und Schlangen, aber keinen gefährlichen. Etwa fünf Mal sah ich Fußstapfen von einem Tiger am Strand. Die Dorfbewohner erklärten mir, dass manchmal welche dort auftauchen. Ich wollte unbedingt einen Schneeleoparden treffen. Aber die sind so selten. Einmal sah ich zumindest seine Fußstapfen. Die sind wie Geister. Vielleicht hat er mich gesehen, aber ich ihn nicht.

teleschau: Was war der schlimmste Moment der Himalaya-Expedition?

Schonfeld: Der Unfall von meinem Pferd Robert. Ich hatte große Angst um ihn. Er stürzte ein Stück. Ich konnte ihn unmöglich alleine aus seiner Lage befreien, er wiegt 500 Kilo. Ich ging also 20 Stunden - erst zurück zum Dorf, um Hilfe zu holen und dann wieder zu Robert. Es ist krass zu sehen, wie weit man physisch gehen kann, wenn man muss. Robert ist ein Freund geworden. Ich hätte mir nie verziehen, wenn er stirbt.

teleschau: Wie geht es Robert jetzt?

Schonfeld: Ich habe ihn an einen netten Kerl verkauft im Himalaya. Einen Schäfer. In dem Dorf wurde er zum Star, alle Kinder wollen ihn als Haustier. Denn es gibt dort normalerweise keine Pferde. Ich will Robert dort wieder besuchen.

"Drei Männer vom Volk der Teko retteten mich"

teleschau: Wieso wählten Sie den Amazonas als Ziel für Ihr jüngstes Abenteuer?

Schonfeld: Ich schaute auf Weltkarten nach: Wo gibt es Dschungel? Ich dachte mir: Wenn ich in den Dschungel gehe, sollte es der größte von allen sein. Der Amazonas ist wohl für jeden Menschen ein magischer, verrückter Ort.

teleschau: Nach welchen Kriterien wählten Sie Ihre Route?

Schonfeld: Ursprünglich wollte ich einen zufälligen Startpunkt wählen. Aber sechs Wochen las ich das Buch "Abenteuer in Französisch-Guayana" von Raymond Maufrais. Das hat mein Leben verändert. Maufrais war ein Junge in meinem Alter, der davon träumte, den Dschungel allein zu durchqueren. Sein Ziel: das Tumuk-Humak-Gebirge. Er war neugierig, weil dort der Legende nach ein geheimnisvoller Ureinwohnerstamm leben sollte. Maufrais kam nie zurück. Seit 1950 war er verschollen. Sein Vater suchte ihn zehn Jahre lang im Amazonas-Gebiet. Weil er die Suche nach seinem Sohn nie aufgab, wurde er "nebenbei" zu einem der wichtigsten Amazonas-Forscher.

teleschau: Was hat all das mit Ihrer Reiseplanung zu tun?

Schonfeld: Ich nahm mir vor, in Maufrais Fußstapfen zu treten. Seine Reise zu beenden und seinen Traum zu verwirklichen. Es fühlte sich die ganze Zeit so an, als würde ich ihm folgen. Denn der Wald hat sich nicht verändert seit den 50er-Jahren. Seine Notizen waren wie eine Landkarte für mich. Ich hatte zwei Monate lang dieselben Gefühle wie er, die guten und die schlechten. Das war eine wirklich seltsame und intensive Erfahrung.

teleschau: Haben Sie ein Beispiel?

Schonfeld: An der Stelle, wo sein Notizbuch gefunden wurde, ging es mir ähnlich wie Maufrais: Ich war erschöpft und fror. Ich dachte darüber nach, ob ich schwimmen sollte, aber nahm an, dass ich das nicht überleben würde. Ich habe während dieser Expedition 15 Kilo verloren. Irgendwann hatte ich starke Schmerzen. Ich hatte keine Satellitenverbindung, und niemand wusste, wo ich war. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich: Diesmal wirst du sterben. Deshalb habe ich ein Abschiedsvideo für meine Eltern gemacht. Meine Fantasie spielte mir schon Streiche. Die Geräusche, die ein Kolibri macht, klangen wie der Motor eines Bootes oder eines Flugzeuges. Am 11. September wurde ich im Amazonas-Gebiet 27 Jahre alt. Es war ein sehr einsamer Geburtstag. Aber drei Tage später bekam ich mein verspätetes Geburtstagsgeschenk: Drei Männer vom Volk der Teko retteten mich. Sie nahmen mich mit auf ihr Boot und wir gingen jagen und fischen.

teleschau: Welche Aspekte des zivilisierten Lebens vermissen Sie während der Reisen am meisten?

Schonfeld: Es gibt nur eines, was ich vermisse: die Menschen, die ich liebe. Das ist der einzige Grund, warum ich überhaupt zurückkehre in die Zivilisation ... und französischer Käse.