Kein Sex, keine Ehe und keine Kinder: Was die 4B-Frauenbewegung aus Korea für den Feminismus bedeutet

Radikaler Einsatz für Gleichberechtigung: Die 4B-Frauenbewegung aus Korea verzichtet auf Männer, Sex und Kinder!

Radikaler Einsatz für Gleichberechtigung: Die 4B-Frauenbewegung aus Korea verzichtet auf Männer, Sex und Kinder!

GettyImages/kemalbas,

Sie lehnen jegliche heterosexuelle Partnerschaften ab, wollen weder Kinder noch heiraten und rasieren sich demonstrativ die Haare kurz. Im Extremfall streichen sie Männer sogar komplett aus ihrem Leben. Was radikal erscheint, inspiriert derzeit Feminist*innen auf der ganzen Welt: die koranische 4B-Frauenbewegung.

Die Online-Suchanfragen zu den Frauenrechtlerinnen sind weltweit in die Höhe geschossen. Denn spätestens seit Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt wurde, ist klar: Gleichberechtigung ist auch in unserer westlichen Welt noch immer keine Selbstverständlichkeit. Ganz im Gegenteil. Selbst hart erkämpfte Frauenrechte werden verstärkt wieder bedroht und in Frage gestellt. Für den sexistischen Amerikaner gehörte Frauenverachtung schamlos zur Kampagne und dank seiner Unterstützung wurde in den USA 2022 das grundsätzliche Recht auf Schwangerschaftsabbruch wieder aufgehoben.

Das Gefühl der Frustration und Wut, das Frauen angesichts einer patriarchalischen Gesellschaft empfinden, hat so viel mehr gemeinsam, als wir dachten.

Hawon Jung

„Die Tatsache, dass diese kleine feministische Bewegung in Südkorea bei so vielen Frauen in den USA und anderswo auf der Welt auf Resonanz stößt, scheint eine Erinnerung daran zu sein, dass das Gefühl der Frustration und Wut, das Frauen angesichts einer patriarchalischen Gesellschaft empfinden – unabhängig davon, wo sie leben, und trotz der kulturellen, politischen und geopolitischen Unterschiede auf der Welt – so viel mehr gemeinsam hat, als wir dachten“, erklärt die koreanische Journalistin Hawon Jung. Sie ist der koreanischen Frauenbewegung in ihrem Buch „Flowers of Fire“ (BenBella Books) auf die Spur gegangen. Eine faszinierende Bestandsaufnahme eines kulturellen Phänomens. Und einer konsequenten Haltung, die inspiriert.

„4B“ steht für vier Worte, die im koreanischen mit dem Präfix „bi“ beginnen, übersetzt: kein. Also vier mal „Kein“: kein Sex, keine Beziehung, keine Ehe und keine Kinder. Sprich, ein Leben ohne Männer! Das Ziel: eine gesellschaftliche Revolution und völlige Neuausrichtung gesellschaftlicher Normen in Bezug auf Gleichberechtigung. „Für mich ist ,kein Sex, keine Ehe, keine Kinder‘ nicht nur ein Lebensstil. Es ist ein Versuch, das Patriarchat zu Fall zu bringen“, so Kang Han-Byul, eine der treibenden Kräfte der 4B-Bewegung.

Was steckt hinter der 4B-Bewegung aus Korea?

Auf den ersten Blick überrascht es, dass eine derart radikale Bewegung ausgerechnet in dem hochmodernen Korea startete. „Die Industrialisierung in den Siebzigern und Achtzigern hat zwar vieles für Frauen verändert, vor allem was Bildung anbelangt. Sie haben die Männer in den letzten zwei Jahrzehnten akademisch überholt. Trotzdem sind sexuelle Übergriffe, Frauenfeindlichkeit, Body-Shaming und Diskriminierung noch immer ein fester Bestandteil des koreanischen Alltags“, so Hawon Jung.

In kaum einem anderen fortschrittlichen Land der Welt ist das Patriarchat noch immer so tief verwurzelt wie in Korea. Die Kultur des Landes wurde jahrhundertelang von den Ideologien des Konfuzianismus bestimmt, in dem Männern den Frauen deutlich als überlegen galten. Der Wert einer Frau wurde über die Männer in ihrem Leben definiert (egal ob Väter, Ehemänner oder Söhne). Und auch wenn Korea mittlerweile ein hochtechnologisiertes und modernes Land ist, hat sich in den Köpfen der Männer wenig verändert: Seit 30 Jahren ist Korea in der OECD-Erhebung das Industrieland mit dem größten Lohngefälle zwischen den Geschlechtern. In puncto Gleichberechtigung steht Korea laut World Economic Forum auf Platz 94 von 146 Ländern (basierend auf Arbeit, Bildung, Gesundheit und Politik). Nur 19 Prozent der Parlamentarier*innen sind weiblich und 70 Prozent aller großen Firmen haben keine einzige Frau in der Führungsetage sitzen. An der Tagesordnung stehen immer noch: Diskriminierung, häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe im Büro (vor allem bei Drink-Gelagen mit Kollegen nach der Arbeit, für die Korea bekannt ist). Frauen werden heimlich auf Toiletten in Büros, selbst in Schulen, im Bus oder zu Hause gefilmt. Deepfakepornos werden als Demütigung online verbreitet. Und Single-Frauen immer noch ganz selbstverständlich bemitleidet und beleidigt. Trotzdem ging der rechtspopulistische Präsident Yoon Suk-yeaol (gegen den derzeit ein Amtsenthebungsverfahren und eine Klage läuft, weil er versucht hat, das Kriegsrecht gegen die Opposition durchzusetzen) noch vor ein paar Jahren so weit zu behaupten, dass in Korea keine Diskriminierung gegen Frauen existiere.

Warum ausgerechnet Koreanerinnen auf ein männerloses Leben setzen

Die 4B Bewegung begann mit einem tragischen Mord. Eine Frau in Seoul wurde von einem fremden Mann getötet. Das Motiv: pure Frauenfeindlichkeit. Der „Femizid“ löste einen „Genderkrieg“ aus. Bis vor ein paar Jahren noch undenkbar in einer Kultur, in der gesellschaftlicher Scham die Frauenbewegung lange ausbremste. Denn wenn sich eine Frau in Korea zur Wehr setzt, wird sie erniedrigt, bloßgestellt, gefeuert. Das betraf auch Frauen in Führungspositionen. Bis die Oberstaatsanwältin Seo Ji-Hyan im Januar 2018 furchtlos mit einem sexuellen Übergriff durch einen Politiker an die Öffentlichkeit ging, der systematisch ihre Karriere sabotierte. Live im Fernsehen hat sie das Schweigen gebrochen und allen Opfern von sexuellen Übergriffen so eine Stimme gegeben. Sie hat tausenden von Opfern klar gemacht, dass sie nicht allein sind. Dass sie sich nicht schämen müssen. Und dass sie keine Schuld tragen. Der Beginn der #Metoo-Bewegung in Südkorea, die vieles in Bewegung gesetzt hat. Und die 4B-Bewegung bis heute anfeuert.

„Auch wenn die 4B-Bewegung vielen als extrem erscheinen mag, spiegelt es den extremen Druck wider, gegen den sich die Frauen hier in Südkorea wehren“ so Lee Na-Young, Soziologieprofessorin an der Chung-Ang Universität in Seoul. „Die patriarchalischen Normen in Südkorea sind angesichts des wirtschaftlichen Status und des Bildungsniveaus der Frauen so unerbittlich, dass der Widerstand dagegen tendenziell genauso groß ist. Bewegungen wie 4B sind eine Warnung. Und demonstrieren die Konsequenzen, wenn sich die Gesellschaft und die Haltung von Männern nicht ändert.“ Denn die Ehe wird hier von vielen jungen Frauen in Korea als „existenzielle Bedrohung“ betrachtet, die viele Risiken birgt. Die Rate der häuslichen Gewalt liegt in Korea mit 41.5 Prozent (wie eine Studie 2016 belegte) deutlich höher als der globale Durchschnitt. „Während es in Südkorea relativ wenige Gewaltverbrechen im öffentlichen Raum gibt, sorgt häusliche Gewalt fast täglich für Schlagzeilen. Im November wurden in nur einer Woche mindestens vier Männer verhaftet, weil sie ihre aktuellen oder ehemaligen Partnerinnen getötet hatten,“ verdeutlicht Hawon Jung die Lage. „Und verheiratete Frauen tragen eine unverhältnismäßig große Last bei der Kinderbetreuung und der Hausarbeit – so sehr, dass selbst diejenigen, die die Familie ernähren, mehr Zeit mit Hausarbeit verbringen als ihre Ehemänner, die zu Hause bleiben.“

Auch was oberflächliche Schönheitsideale anbelangt, ist der Druck auf Frauen in Korea gewaltig. Das Land hat die weltweit höchste Rate an Schönheitsoperationen. 40 Prozent aller Frauen haben sich laut einer Studie 2019 schon behandeln lassen. Deshalb sind abrasierte Haare und kein Make-up für die B4-Frauen ein symbolischer Mittelfinger an das Patriarchat und ein bedeutender Befreiungsakt.

Lässt sich Gleichberechtigung mit einem Sex-Boykott herbeiführen?

Es gibt keine offiziellen Statistiken über die genaue Größe der 4B-Bewegung. „Aber ich würde sagen, dass die Kernbotschaft der 4B-Bewegung eine weitaus komprimiertere, intensivere und freimütigere Version der Frustration und des Unmuts vieler gewöhnlicher südkoreanischer Frauen über die Institution der Ehe oder die patriarchalische Familienkultur im Allgemeinen ist. So ist die 4B-Bewegung ein Symbol, das diese breite Ablehnung verkörpert", so Jung. „Mehrere Umfragen haben gezeigt, dass junge Frauen in Südkorea ganz allgemein weitaus weniger bereit sind, ein Kind zu bekommen oder zu heiraten, und dass sie mit ihrem Status als Single zufriedener sind als Männer.“ Es bleibt abzuwarten, wie lange solch ein radikales Experiment am Rand der Gesellschaft andauern kann. Und was es wirklich bewirkt.

„Um grundlegende strukturelle und institutionelle Veränderungen herbeizuführen und Sexismus in der Gesellschaft insgesamt zu bekämpfen, bedarf es letztlich der Organisation von Massen und der Basis. Es braucht eine politische Mobilisierung und Aktivismus im öffentlichen Raum“, so Hawon Jung. Aber Sichtbarkeit ist wichtig. Und so einen radikalen Weg einzuschlagen, sorgt offensichtlich für Aufsehen. Vor allem bei jungen Menschen. „Die Stärkung der Gleichstellungserziehung in der Schule ist wirklich wichtig. Insbesondere in einer Zeit, in der so viele Jungen und junge Männer durch den Mythos der toxischen Männlichkeit radikalisiert werden, der in sozialen Medien und Internetforen verbreitet wird“, so Jung. „Geschlechterstereotypen und patriarchalische Normen lassen sich im späteren Leben nur schwer auflösen. Schulen und Lehrer sollten über das Wissen und die Ressourcen verfügen, um das Bewusstsein für sexuelle Zustimmung, sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt zu schärfen und stereotype Ansichten über Sex und Männlichkeit zu hinterfragen.“ Denn Männer müssen begreifen, dass auch sie von Gleichberechtigung profitieren. Statt sich bedroht zu fühlen! Und da scheint sich zumindest in Korea schon etwas in Bewegung gesetzt zu haben. „In Südkorea hat eine Gruppe von Männern, die sich selbst als Feministen bezeichnen, eine Online-Gruppe mit dem Namen „Feminism with Him“ gegründet, um über die Gefahren der toxischen Männlichkeit zu diskutieren und alternative Lebensformen für junge Männer zu definieren. Dazu gehört, dass Männer ihre Gefühle und Emotionen freier ausdrücken können, ohne befürchten zu müssen, verspottet zu werden. Und dass sie in der Lage sind, sich um sich selbst und andere zu kümmern, anstatt zu denken, dass solche Pflegearbeiten im täglichen Leben „Frauensache“ sind. Denn Frauenrechte zu stärken, ist keine Bewegung gegen Männer, sondern für eine gerechtere Welt. Und eine stabile Demokratie, die ohne Gleichberechtigung nicht funktionieren kann.