Was ist besser: Kurzer, intensiver oder langer, oberflächlicher Schlaf?
Schlafexperte im exklusiven Interview
Wie lange Menschen schlafen sollten, um ihrem Körper und Geist die größtmögliche Erholung zu geben, hängt auch mit den Genen zusammen. Im Idealfall sollte der Schlaf aber erst dann enden, wenn ein paar Schlafzyklen störungsfrei durchlaufen sind und man lange genug ruhen konnte, um von alleine aufzuwachen und frisch in den Tag zu starten.
Die Realität sieht aber natürlich oft ganz anders aus. Es gibt Nächte, die nach einer Feier, vor einer Reise oder für Eltern im Allgemeinen oft notgedrungen kurz sind. Und es gibt Nächte, die einem ewig vorkommen, weil man einfach nicht einschlafen kann oder viel zu früh wach wird. Warum beides nicht ideal ist und was man selbst tun kann, um die Schlafqualität zu erhöhen, verrät der Schlafexperte Dr. Hans-Günter Weeß im exklusiven Interview mit Yahoo Life.
Herr Dr. Weeß, was passiert, wenn wir zum Beispiel vor einer Reise zwar zu kurz, aber intensiv schlafen?
Dr. Hans-Günter Weeß: Sobald wir weniger Schlaf bekommen als es unsere Gene vorgeben, können wir unser nächtliches Regenerations- und Reparaturprogramm nicht vollständig ablaufen lassen. In einer Nacht, in der wir vielleicht vier Stunden schlafen, leiden unsere Aufmerksamkeit und Konzentration. Dadurch steigt auch die Unfallwahrscheinlichkeit im Verkehr oder bei der Arbeit, wenn man zum Beispiel gefährliche Maschinen bedient. Nur eine Stunde weniger Schlaf hat schon eine erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit von 30 Prozent zur Folge. Bei zwei Stunden sind es schon 90 Prozent. Und bei unter vier Stunden Schlaf ist sie um das elffache erhöht.
Gleichzeitig wird unser Immunsystem geschwächt. Wir produzieren weniger T-Zellen und Abwehrzellen und die Wahrscheinlichkeit, dass wir nach einem Kontakt mit einem Virus auch tatsächlich erkranken, steigt ebenfalls mit jeder Stunde weniger Schlaf. Daneben ist auch unsere Gedächtniskonsolidierung beeinträchtigt und vor allem die Langzeitgedächtnisbildung leidet. Interessanterweise ist es so, dass unsere Stimmung bei kurzfristigem Schlafmangel häufig nicht leidet und wir sogar eher euphorisch werden. Sobald der Schlafmangel aber in eine chronische Form übergeht, kehrt sich das um und die Wahrscheinlichkeit für Depressionen oder Angststörungen wächst ebenso wie für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Und was passiert, wenn wir zwar ausreichend lange im Bett sind, aber schlecht schlafen?
Das kann passieren, wenn wir zu viel Stress hatten, nicht gut abschalten können und nachts eine hohe Cortisolausschüttung erfolgt. Wir haben dann sehr viele Weckreaktionen, schlafen oberflächlich und wachen immer wieder auf. In diesem Fall fehlt vor allem der Tiefschlaf und der REM-Schlaf ist nicht mehr in ausreichendem Maße vorhanden. Der Schlaf wird nicht mehr in den gewohnten Zyklen durchlaufen und die körperliche Erholung leidet: Wir schütten weniger Wachstumshormone aus, die Kinder für das Organ- und Körperwachstum brauchen und Erwachsene für die Zellteilung und Zellneubildung.
Auch die Hautzellen werden dann nicht mehr in gewohntem Ausmaß regeneriert, man bekommt Augenringe, Männer schütten weniger Testosteron aus, was die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt und der Muskelaufbau ist geschwächt. Natürlich beeinträchtigt das auch Lern- und Gedächtnisprozesse.
Wie läuft eine optimal erholsame Nacht ab?
Je nach Schlafdauer durchlaufen wir jede Nacht 4 bis 7 Schlafzyklen. Ein Zyklus dauert im Durchschnitt 90 Minuten, aber das kann individuell zwischen 70 und 110 Minuten variieren. Zu Beginn der Nacht gelangen wir über den oberflächlichen Schlaf des Stadiums N1 in den stabilen Schlaf des Stadiums N2. Dort verharren wir jeweils kurz und kommen dann in die erste Tiefschlafphase, in der wir für 30 bis 40 Minuten bleiben. Abschluss des Schlafzyklus ist eine REM-Schlafphase. Im REM-Schlaf, der auch Traumschlaf genannt wird, träumen wir emotional sehr beteiligt, weshalb wir uns an diese Trauminhalte auch gut erinnern können.
In diesen Zyklen gehen wir durch die Nacht, wobei der Tiefschlafanteil von Zyklus zu Zyklus immer weniger wird und zuletzt gar nicht mehr auftritt. Daneben nimmt der REM-Schlaf von Zyklus zu Zyklus immer mehr zu. Da der Tiefschlaf in der zweiten Schlafhälfte fehlt, der aber für die körperliche Erholung notwendig ist, ist die erste Schlafhälfte für den Körper sehr wichtig, und die zweite Schlafhälfte mit mehr REM-Schlaf für die Stimmung und Gedächtnisprozesse.
Was kann man tun, um bestmögliche Voraussetzungen für einen guten Schlaf zu schaffen?
An erster Stelle steht es, abends abzuschalten und sich von den großen und kleinen Sorgen des Tages zu verabschieden. An zweiter Stelle, nicht ins Bett zu gehen und unbedingt schlafen zu wollen. Je mehr ich mich unter Druck setze, jetzt schlafen zu müssen, umso mehr bringe ich mich in Anspannung, die der Feind des Schlafes ist. Der dritte Punkt ist eine gewisse Regelmäßigkeit von Schlafen und Wachen, die man aber gerade am Wochenende auch einmal nicht so genau nehmen muss.
Viertens: Eine Stunde vor dem Zubettgehen sollte man nichts Anstrengendes mehr unternehmen, weder gedanklich noch körperlich. Also kein Sport, keine Auseinandersetzungen, kein Surfen im Internet und das Licht herunterdimmen. Helles Licht kann das körpereigene Melatonin unterdrücken, das unser Gehirn braucht, um in den Schlafmodus umzuschalten. Als letztes gilt: kein Schlaf vor dem Fernseher. Dadurch bauen wir schon Schlafdruck ab, was dann später, wenn wir ins Bett gehen, zu einer Einschlafstörung führen kann.
Ist es im Zweifel besser, nur zwei bis drei Stunden zu schlafen oder gar nicht?
Ein bisschen Regeneration und Reparatur sind immer besser als gar nichts. Das Aufwachen ist aber möglicherweise umso schwerer, weil man sich schlaftrunken und benommen fühlt. Da würde ich eine wechselwarme Dusche empfehlen. Es kann auch helfen, sich vorzustellen, was an diesem Tag alles toll sein wird, um mit einer gewissen Motivation aus dem Bett zu kommen. An solchen Tagen würde ich auch ein bisschen Sport und viel Licht empfehlen. Ein bis zwei Mal ein kleiner Powernap von 20 Minuten Dauer wirkt ebenfalls erfrischend. Er sollte aber nicht länger sein, damit wir nicht in den REM-Schlaf kommen, der am Tage müde und antriebslos macht.
Unser Experte: Dr. Hans-Günter Weeß
Dr. Hans-Günter Weeß ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Somnologe (DGSM). Er unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und war bis 2022 Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Zuletzt hat der Schlafmediziner und Autor das Buch "Schlaf wirkt Wunder" veröffentlicht und ein Online-Programm für Menschen mit Schlafproblemen erstellt.
Weitere Infos zum Thema Schlafen:
Hilft Schäfchenzählen wirklich beim Einschlafen? (Yahoo Style Deutschland)
Welche Lebensmittel helfen beim Einschlafen? (Yahoo Style Deutschland)
Schräg schlafen - was sagen Schlafexperten dazu? (Yahoo Style Deutschland)